Polit-Herbst der vielen Wahrheiten

WIEN-WAHL: PLAKATPRAeSENTATION DER NEOS WIEN: MEINL-REISINGER
WIEN-WAHL: PLAKATPRAeSENTATION DER NEOS WIEN: MEINL-REISINGERAPA/GEORG HOCHMUTH
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Wo steht die ÖVP wirklich? Und wo die FPÖ? Die Herbstwahlen in Wien und Oberösterreich werden nicht nur für den Bundeskanzler wegweisend sein.

Für keinen anderen Parteichef mag im Herbst ähnlich viel auf dem Spiel stehen wie für jenen der SPÖ, für Werner Faymann. Allerdings geht die Bedeutung der Oberösterreich-Wahl am 27. September und der Wien-Wahl am 11. Oktober auch in den anderen Parteien über die bloße Besetzung eines Landtags (Gemeinderats) hinaus. Nämlich weit hinein ins Bundespolitische.

In der ÖVP wird sich weisen, ob sich auch Reinhold Mitterlehner nach einem Jahr als Parteiobmann schon abgenützt hat. Bei den Grünen stehen zwei Prestigeprojekte auf dem Spiel, bei den Neos noch mehr. Und alle, Heinz-Christian Strache inklusive, fragen sich, wohin die Reise der FPÖ noch geht.

Mitterlehner und die unsanfte Ankunft im Alltag

Kommenden Mittwoch hat die Mitterlehner-ÖVP Geburtstag. Am Morgen des 26. August 2014 hat Michael Spindelegger seinen Rücktritt eingereicht, am Abend war Reinhold Mitterlehner neuer ÖVP-Obmann. Mit ihm wurde die Partei ein bisschen moderner, ein bisschen selbstbewusster, ein bisschen besser in den Umfragen.

Grund zum Feiern gibt es allerdings nicht, denn der Mitterlehner-Effekt ist verbraucht. Der anfangs euphorische, fast hyperaktive Parteichef wurde vom Alltag eingeholt, von einer hohen Arbeitslosigkeit und der allgemeinen staatlichen Überforderung bei der Flüchtlingsverteilung. Mit der SPÖ führt Mitterlehner eine Zweckehe, die einzige Gemeinsamkeit ist die Furcht vor der FPÖ.

Die Herbstwahlen könnten schwierig werden. In Oberösterreich, Mitterlehners Heimat, wird die ÖVP mit Landeshauptmann Josef Pühringer zwar stärkste Partei bleiben, aber stark zurückfallen, womöglich sogar unter die 40-Prozent-Marke. In Wien muss die Volkspartei aufpassen, dass sie nicht einstellig wird. Mit durchschnittlich elf Prozent in den Umfragen ist sie nicht so weit davon entfernt. Irgendetwas werden sich Mitterlehner und Stadtparteiobmann Manfred Juraczka einfallen lassen müssen. Denn mit so wenig Wiener Rückhalt wird das Kanzleramt für Mitterlehner in drei Jahren kaum zu holen sein.

Strache und die Frage, was möglich ist

Es gibt da diesen Disco-Hit aus den Achtzigerjahren – „Ibiza“ von Schlagersänger Ibo. Das Lied beginnt so: „Ich sagte mir: ,Du musst hier endlich raus, kauf dir ein Ticket und flipp lieber aus.‘ Ich wette, du hast nie geglaubt, ich fahr, jetzt leb ich schon ein Jahr auf Ibiza.“

So lang war Heinz-Christian Strache zwar nicht auf Ibiza, aber es hätte auch keinen Unterschied gemacht. Es läuft derzeit alles glatt für ihn und die FPÖ, er kann sich nur selbst schaden. Deshalb lehnt er sich lieber zurück und schaut zu, wie sich die Regierung mit der Arbeitslosigkeit und den Flüchtlingen plagt. Die Wähler kommen dann von allein zu ihm.

Bei der Wien-Wahl wird die FPÖ mit ihrem Radikalpopulismus wohl ziemlich nahe an die SPÖ heranrücken. Und selbst wenn Strache, wie viele Sozialdemokraten meinen, mit 30 Prozent limitiert ist, könnte es knapp werden. Denn die SPÖ ist in Wien an ihrem Tiefpunkt angelangt. Die Frage ist nur, wie tief dieser liegt.

Ähnliches gilt für die oberösterreichische SPÖ. Platz zwei ist für die FPÖ nicht mehr nur möglich, sondern wahrscheinlich. Auch eine Regierungsbeteiligung, als Juniorpartner der ÖVP, steht im Raum. In Wien ist Blau-Schwarz zumindest denkbar. Rechnerisch aber utopisch.

Glawischnig und die Kluft zwischen Bund und Land

Es geht uns gut, mag sich Eva Glawischnig dieser Tage sagen – aber, wenn sie ehrlich ist, weniger gut als erwartet. Oder zumindest erhofft. Zwischen dem Oppositionsjob im Bund und dem Mitregieren in sechs Bundesländern ergeben sich – insbesondere in der Asylpolitik – Widersprüche bei den Grünen. Wähler bleiben auf der Strecke. Vom Protest gegen die Bundesregierung profitiert derzeit nur die FPÖ.

Ungünstigerweise stehen nun zwei Landtagswahlen an, bei denen die Partei ihre beiden Prestigeprojekte zu verteidigen hat: Schwarz-Grün in Oberösterreich (seit 2003 im Amt) und Rot-Grün in Wien (seit 2010). Beide Koalitionen waren die ersten ihrer Art auf Landesebene. Doch es lauern Gefahren: Da wie dort könnte der Koalitionspartner so geschwächt werden, dass sich ein Dacapo rechnerisch nicht mehr ausgeht. Da wie dort denkt der Koalitionspartner über Alternativen nach.

In Wien könnte die Große Koalition wieder in Mode kommen, wenn – beispielsweise – Noch-Sozialminister Rudolf Hundstorfer nach der Wahl für Bürgermeister Michael Häupl einspringen muss. In Oberösterreich überlegt die ÖVP, wie sie die Freiheitlichen entschärfen kann. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie die Antwort bei Wolfgang Schüssel findet.

Strolz und der Kampf ums politische Überleben

Das Problem, mit dem sich Matthias Strolz seit einiger Zeit herumschlägt, lässt sich in etwa so zusammenfassen: Der Nimbus des Neuen ist abgenützt, die ÖVP hat sich gesellschaftspolitisch bewegt und zurückgeschlagen, weshalb die Neos – obwohl auf allen Ebenen sehr bemüht – nicht darlegen können, was sie von den anderen unterscheidet. Sie haben zwar viele gute Vorschläge, aber keine ideologische Erzählung.

Nicht nur, aber vor allem deshalb hat man es in der Steiermark und im Burgenland nicht in den Landtag geschafft. Nicht nur, aber vor allem deshalb ist man auch in Oberösterreich weit davon entfernt. Bleibt Wien als letzte Hoffnung. Scheitern die Neos dort, haben sie ein echtes Problem. Dann ist ihr Fortbestand über die nächste Nationalratswahl hinaus gefährdet.

Also hat man sich Hilfe geholt – und Tal Silberstein als Berater engagiert. Der israelische Spindoktor hat für Kaliber wie Ehud Barak und Julia Timoschenko gearbeitet, außerdem für die (Wiener) SPÖ. Sein Einfluss – Silberstein gilt als Spezialist für Negative Campaigning – ist bereits spürbar. Die Neos sind angriffiger geworden. Böser, meinen manche. Auf Plakaten werden etwa die Vergehen freiheitlicher Mandatare aufgezeigt. Strolz darf wieder hoffen: Umfragen sehen die Neos derzeit im Gemeinderat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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