Grenzstreit: Venezuela bereitet sich auf „langen Krieg“ vor

Venezuela´s President Maduro speaks during a news conference at Miraflores Palace in Caracas
Venezuela´s President Maduro speaks during a news conference at Miraflores Palace in Caracas(c) REUTERS (CARLOS GARCIA RAWLINS)
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Das Regime rund um Präsident Maduro hat an der Grenze zu Kolumbien den Ausnahmezustand verhängt. Hunderte Personen wurden verhaftet.

Buenos Aires. Nicolás Maduro greift hart durch. In fünf Landkreisen im Westen Venezuelas hat der Präsident den Ausnahmezustand ausgerufen. Mit der erstmals seit 1999 verhängten Maßnahme will der Erbe Hugo Chávez' „unser geliebtes Grenzgebiet als bolivarische Kooperationszone neu gründen“. Der Ausnahmezustand erlaubt den Sicherheitskräften Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss, verbietet Bürgern das Tragen von Waffen, schränkt das Demonstrationsrecht ein und limitiert den Geldverkehr. Diese Verschärfungen sollen für 60 Tage gelten und haben zum Ziel, den Schmuggel entlang der porösen, 2219 Kilometer langen Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien einzuschränken, die auf unbestimmte Zeit ganz geschlossen wurde.

„La frontera“ ist für beide Staaten die wichtigste Außengrenze. Die Volkswirtschaften Venezuelas und Kolumbiens sind eng verbunden und hängen vom Warenaustausch ab. Das gilt gleichermaßen für Großlieferungen von kolumbianischen Lebensmitteln wie für den – illegalen – Schleichhandel mit allem, was in Venezuela vom Staat subventioniert wird. Schon lange schmuggeln tausende Grenzgänger Benzin, das in Kolumbien 50-mal mehr kostet als in der Petro-Republik nebenan. In den vergangenen Jahren haben die Schieber ihr Portefeuille auf Grundnahrungsmittel ausgeweitet. Vielfach werden Maismehl und Milchpulver, die Venezuelas Regierung zu Weltmarktpreisen in Kolumbien einkauft und dann subventioniert in seinen Handelsstrom einbringt, von korrupten Staatsdienern abgezweigt und über die Grenze zurückverschachert.

Venezuelas Regierung, die ihren Bürgern die Gründe für den Versorgungsmangel erklären muss, macht die Schmuggler verantwortlich. Sie stellt deren Aktivitäten stets als Teil eines „Wirtschaftskrieges“ dar, den rechte kolumbianische Gruppen und Venezuelas Opposition angeblich orchestrierten.

Militär durchkämmt Armenviertel

Seit einem Jahr hat Venezuela nun die Kontrollen an den Grenzen verschärft, ohne jedoch das rentable Geschäft stoppen zu können. Vorigen Mittwoch wurde eine Grenzpatrouille beschossen, drei Soldaten erlitten Verletzungen. Obwohl die Täter nicht identifiziert werden konnten, sprach Maduro von kolumbianischen Paramilitärs.

Nun durchkämmen venezolanische Militärs und Nationalgardisten die Armenviertel entlang der Grenze. Dabei nahmen sie 691 voll- und 170 minderjährige Kolumbianer ohne Aufenthaltspapiere fest. Nicht alle Festnahmen verliefen offenbar gewaltfrei. Hunderte Häuser werden von Nationalgardisten mit einem „D“ markiert, das steht für „Demolición“ – „Abriss“. Unter den Festgesetzten sollen acht Männer mit Verbindungen zu Paramilitärs sein. Präsident Maduro behauptet, allein dieses Jahr seien 121.000 Kolumbianer nach Venezuela eingesickert.

Jenseits der Grenze hörte man diese Zahl mit Staunen. Kolumbiens Migrationsbehörden registrierten seit Jahresanfang 315.000 Ausreisen ihrer Staatsbürger nach Venezuela. Fast alle seien jedoch wieder zurückgekehrt. Kolumbiens Regierung protestierte gegen die „ungerechtfertigte“ Grenzschließung. Am heutigen Mittwoch will Kolumbiens Außenministerin María Ángela Holguín in Cartagena mit ihrer Amtskollegin Delcy Rodríguez nach Auswegen suchen.

Eskalation vor der Parlamentswahl

Doch ob Venezuelas Regierung diese überhaupt finden will, ist nach Ansicht der Opposition fraglich. Regierungsgegner sehen die Eskalation im Zusammenhang mit den Anfang Dezember anstehenden Parlamentswahlen. Dort droht der Regierung wegen der massiven Versorgungskrise eine Niederlage, Umfragen sehen die Opposition deutlich vor der sozialistischen Partei. „Die Regierung sucht einen Vorwand, um die Wahl abzusagen“, verlautbarte das Oppositionsbündnis MUD am Montag. Diese Befürchtung gründet in der Rhetorik der Regierenden: Der mächtige Parlamentspräsident Diosdado Cabello dröhnte am Freitag: „Bereiten wir uns auf einen langen Krieg vor!“

Dabei ist die Konfrontation im Westen nicht der einzige Grenzkonflikt Venezuelas. Der seit Jahrzehnten schwärende Disput mit seinem östlichen Nachbarn Guyana kochte im Mai hoch, nachdem der US-Ölriese Exxon ein reichhaltiges Ölfeld vor der Küste der einstigen britischen Kolonie entdeckt hatte.

Für das arme Land, das bislang keine fossilen Brennstoffe fördert, bedeutet der Fund ein erhebliches Zukunftsversprechen. Doch er liegt vor dem Gebiet westlich des Flusses Esequibo – einer Zone, doppelt so groß wie Österreich, die Venezuela seit Jahrzehnten beansprucht. In allen Schullandkarten ist das Gebiet, das zwei Drittel des Territoriums Guyanas bedeckt, als Teil Venezuelas eingetragen. Ende Mai erhob Maduro per Dekret auch Anspruch auf das vorgelagerte Seegebiet, das praktisch die gesamte Küste Guyanas umfasst. Als Guyanas neuer Präsident David Granger das als „Verletzung internationalen Rechts“ beklagte, wurde in Caracas mit den Säbeln gerasselt. Offenbar konnte Kuba, das gute Verbindungen nach Guyana pflegt, die Venezolaner vorerst beruhigen. Nun brauchte Maduro offenbar einen neuen Feind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2015)

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