Eine Gasse wird neu erfunden

Grätzeltour. Das Viertel rund um die Reindorfgasse im 15. Bezirk befindet sich in Aufbruchstimmung. Speerspitze der Bewegung ist eine Gruppe junger Kreativer.

Am Sparkassaplatz im 15. Bezirk steht ein schlanker Gründerzeitbau, jüngst revitalisiert, mit strahlend weißer Fassade. Ins Erdgeschoß hat sich das Eduard eingemietet, ein neues, stylisches Café-Restaurant, das von Einrichtung und Speisekarte her eher an angesagte Gegenden im sechsten, siebten oder zweiten Bezirk erinnert.
Aber das Eduard ist hier genau auf dem richtigen Platz. Es verkörpert ein neues Lebensgefühl, von dem das Grätzel seit rund zwei Jahren erfasst wird. „Angefangen hat alles in einem Raum direkt gegenüber“, erläutert Kurt Tanner von der Initiative „einfach 15“. Gemeinsam mit Markus Steinbichler hat er damals eine kleine Gruppe junger Kreativer zusammengerufen, zu der auch alteingesessene Kaufleute stießen. Das Thema der Versammlung: Maßnahmen zur Wiederbelegung des Grätzels. „Die Leute sprühten nur so von Geschäftsideen, es brauchte nur noch den richtigen Impuls zur Umsetzung“, erzählt Tanner. Aus dem Brainstorming entwickelte sich die Initiative einfach 15 und eine der ersten Maßnahmen war ein Lifting des einst recht verschnarchten Grätzelfestes in der Reindorfstraße. Über persönliche Beziehungen gelang es 2013, die Attwenger und Ernst Molden als Musicacts zu gewinnen, Kinderprogramme wurden organisiert, ein Straßentheater auf die Beine gestellt. „Das Event war ein solcher Erfolg, dass die anfängliche Skepsis der alteingesessenen Kaufleute mit einem Schlag wie weggewischt war“, erzählt Tanner.

Potenzial erkannt

Nicht zuletzt machte das Fest das Potenzial des Grätzels sichtbar. Vor allem die rund 500 Meter lange Reindorfgasse verfüge über ideale räumliche Rahmenbedingungen, so Tanner, „die vielen, klein strukturierten Erdgeschoßlokale bieten sich geradezu an für neue Geschäftsgründungen“. Zum Erfolg der Initiative einfach 15 gehört es, einen großen Teil dieses Potenzials gehoben zu haben, „in den vergangenen zwei Jahren ist es uns gelungen, zwölf neue Geschäfte hier anzusiedeln“, sagt Tanner stolz. Dazu gehört beispielsweise der Block 44, das Gemeinschaftsprojekt eines Modelabels, eines Fahrradgeschäfts und eines Cafés. In der Galerie Improper Walls finden regelmäßig Vernissagen statt und mit dem Designertaschen-Label Urban Tool hat Tanner persönlich Pionierarbeit geleistet. Dennoch ist die Reindorfgasse authentisch geblieben, denn gleichzeitig sind viele der althergebrachten Lokale erhalten geblieben. Das Gasthaus Quell am Kirchenplatz etwa, die Pizzeria Mafiosi oder der türkische Friseur. „Es ist uns ein großes Anliegen, dass die Vielfalt erhalten bleibt. Verlassene Lokale sollen revitalisiert, aber niemand verdrängt werden“, versucht Tanner Gentrifizierungsbedenken zu zerstreuen. Noch jedenfalls sind die Mieten für Geschäftslokale in Rudolfsheim-Fünfhaus mit 16,3 Euro/m22 und für Wohnraum mit rund 7,8 Euro/m22 vergleichsweise günstig – mit ein Grund, warum vor allem junge Menschen in den Bezirk übersiedeln. „Das macht uns zum jüngsten Bezirk Wiens“, so Tanner. Und die treffen auch auf ein immer besseres Wohnangebot. Allein im Bezirksteil Reindorf werden derzeit durch Förderungen der Stadt Wien 24 Baublöcke mit 270 Liegenschaften saniert.

Das Sorgenkind

Daneben gibt es aber auch Anzeichen für Immobilienspekulationen. Tanner weist auf ein heruntergekommenes, zweistöckiges Haus an der Ecke zum Schwendermarkt. „Das ist unser Sorgenkind. Es steht seit 150 Jahren juristisch nicht ganz einwandfrei auf öffentlichem Grund und wurde von einem Investor gekauft, der ein fünfstöckiges Gebäude hinstellen wollte. Vorerst ist die Stadt eingeschritten, man wird sehen, was daraus wird“, erzählt er. Was aus dem Viertel schon geworden ist, können sich Besucher am kommenden Freitag und Samstag ansehen. Dann steigt nämlich wieder das Grätzelfest in der Reindorfgasse. Musikalisch angesagt haben sich diesmal unter anderem Christoph & Lollo.

Zum Ort

Ein Netzwerk aus jungen Kreativen, Geschäftsleuten und engagierten Anwohnern hat dem Grätzel rund um die Reindorfgasse im 15. Bezirk in den vergangenen zwei Jahren neues Leben eingehaucht. Beim Reindorfgassenfest am 11. und 12. September wird die neue Aufbruchstimmung zu spüren sein.
Der Wohnraum ist noch erschwinglich. Mietwohnungen mit gutem Wohnwert kosten laut Immobilienpreisspiegel 2015 der WKO im Mittel 7,8 Euro/m22.

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