Streitgespräch: „In Ihren Augen sind Unternehmer die Asozialen“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Industriellenpräsident Veit Sorger und Gewerkschaftschef Erich Foglar über Unstimmigkeiten in der Lohnpolitik, Probleme mit der Kurzarbeit – und eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich.

Die Presse: Am Dienstag platzten die Lohnverhandlungen in der Elektroindustrie. Kehrt mit der schlechter werdenden Wirtschaftslage der Klassenkampf zurück?

Erich Foglar: In der Elektroindustrie wurden die Verhandlungen unterbrochen, allerdings wurde in der Chemieindustrie ein Abschluss erzielt (2,6 Prozent mehr Lohn, Anm.). Das zeigt, dass die Sozialpartnerschaft funktioniert.
Veit Sorger: Es gibt Anzeichen, dass sich die Positionen verschärfen. Wir sind mit den letzten Demonstrationen – bei allem Respekt für die Versammlungsfreiheit – nicht glücklich. Vor allem, weil man den Eindruck vermittelt, auf der Straße irgendetwas lösen zu können. Was die Lohnabschlüsse betrifft: Teil der Chemieindustrie ist ja auch die Pharmabranche, in der noch gut verdient wird. In der Elektroindustrie ist das ganz anders. Die Gewerkschaft fordert 2,7 Prozent und bewegt sich nicht mehr. Die Industrie bietet 1,8 Prozent – das ist mehr als das Doppelte der aktuellen Inflationsrate von knapp 0,7 Prozent.

Allerdings gibt es Vorgaben aus anderen Branchen, die deutlich höher liegen.

Sorger: Das kann schon sein. Wir sollten aber nicht vergessen, dass sich der Abschwung verschärft. Branche ist nicht gleich Branche. Und auch innerhalb der Unternehmen gibt es gewaltige Unterschiede, weshalb wir für eine höhere Flexibilität plädieren. Wer es sich leisten kann, wird höhere Löhne bezahlen. Wer es sich nicht leisten kann, sollte nicht in den Ruin getrieben werden.

Foglar: Es gibt auch in der Elektroindustrie Betriebe mit vollen Auftragsbüchern. Und zur Inflation: Sie können ja nicht hergehen und die prognostizierte Inflationsrate heranziehen. Entscheidend ist jene der vergangenen zwölf Monate. Zwischen April 2008 und März 2009 lag die Teuerung bei 2,6 Prozent, auf der die Menschen nun sitzen. Darüber hinaus war 2008 kein schlechtes Jahr, was auch an den Ausschüttungen an die Aktionäre abzulesen ist.

Sorger: Das ist halt die typische rückwärtsgewandte Sichtweise der Gewerkschaft. Wir sollten nach vorne schauen und sehen, dass wir in einer äußerst schwierigen Situation sind. Und ganz nebenbei bemerkt haben wir in der Vergangenheit saftige Lohnerhöhungen bezahlt. Werden aber jetzt Lohnerhöhungen überdehnt, kommt es verstärkt zu Kündigungen. Wir wollen das nicht, sondern eine ausgeglichene Lohnpolitik mit einem Höchstmaß an Flexibilität.

Was ist denn unter einem Höchstmaß an Flexibilität zu verstehen?

Sorger: Betriebe, denen es schlecht geht, sollen Lohnerhöhungen um ein halbes Jahr verschieben oder aussetzen können, bevor sie großflächig kündigen müssen. Wir haben nie von generellen Nulllohnrunden gesprochen, mit diesem Märchen will ich ein für alle Mal aufräumen.

Foglar: In bestimmten Branchen ging es nicht um Nulllohnrunden, sondern eindeutig um Lohnkürzungen. Gegen diese Vorgangsweise wenden sich auch die Demonstrationen. Die Lohnverhandler haben immer schon ein Auge in die Vergangenheit und eines in die Zukunft gerichtet. Der Vorwurf, die Gewerkschaften wären vergangenheitsorientiert, ist schlicht und ergreifend falsch.

Sorger: Fakt ist, dass sich die Betriebe das mit ihren Beschäftigten schon selbst ausmachen. Wie etwa im Fall Magna. Das missfällt zwar den Gewerkschaften, ist aber ein Signal der gegenwärtigen Zeit. Die Menschen in den Betrieben sprechen sich in einer von uns in Auftrag gegebenen Umfrage mit einer überwiegenden Mehrheit für ein Verschieben oder ein Aussetzen von Lohnerhöhungen aus. Wir gehen eben nicht auf die Straße.

Das wäre allerdings einmal etwas anderes: Industrielle, die demonstrieren...

Sorger: Auf der Straße löst man nichts, wir stehen zudem erst am Anfang der Krise.
Foglar: Sie fragen 500 Menschen mit den von Ihnen formulierten Fragen, wir geben Ihnen die Antwort mit 25.000 Demonstranten (so viele Menschen demonstrierten am 13. Mai laut ÖGB in Wien. Laut Polizei waren es 15.000, Anm.). So viel zur Repräsentativität. Der größte Etikettenschwindel ist, dass die Magna-Beschäftigten freiwillig auf Einkommen verzichten. Mit der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes im Nacken kann man nicht von Freiwilligkeit sprechen.

Sorger: Also das ist eine glatte Unterstellung...
Foglar: Was dabei herauskommt, ist ein fatales Bild. Wir haben Menschen in Kurzarbeit und jene, denen man freiwillig einen Gehaltsverzicht nahelegt, weil man Liquidität braucht. Gleichzeitig ist die Kriegskasse von Magna mit 1,7 Milliarden Euro gefüllt, und das Unternehmen pokert um Opel. Wir haben den Eindruck, dass die Wirtschaft jetzt die Gunst der Stunde nützt.

Sorger: Gott sei Dank hat Magna eine Vorwärtsstrategie, das Management war noch nie so beliebt wie heute. Nochmal: Die Lohnverhandlungen auf die Straße zu tragen halte ich für ein Fehlverhalten, das ich persönlich sehr bedaure. Noch mehr bedaure ich, dass wir mit der Gewerkschaft das Kurzarbeitsmodell nicht modifizieren können. Das wird sich sehr negativ auswirken, die Unternehmer werden zu größeren Einschnitten greifen.

Was funktioniert denn am Kurzarbeitszeitmodell nicht?

Sorger: Die Hürden sind viel höher, als wir (Gewerkschaft und Industrie, Anm.) uns das vorher ausgemacht haben.

Foglar: Wir schließen täglich Vereinbarungen ab. Wir haben über 300 Betriebe mit über 60.000 Menschen in Kurzarbeit, dort gibt es keine Probleme. Viele Unternehmen wollten das System doch nie. Dabei ist das Modell eine faire Verteilung von Lasten und Chancen. Kurzarbeit ist kein Allheilmittel, aber die Arbeitgeber scheinen größere Umstrukturierungsmaßnahmen vorzubereiten...

Sorger: Das sind Unterstellungen. In Ihren Augen sind die Unternehmer ausschließlich die Asozialen, die sich um den eigenen Vorteil kümmern. Die Unternehmer laufen um ihre Existenz. Wenn ein Unternehmen überlebt, überlebt auch die Beschäftigung. Arbeitet in Holland ein Mitarbeiter 50 Prozent, bezahlt ein Unternehmer auch 50 Prozent (der Staat füllt die Differenz auf bis zu 85 Prozent der Bezüge auf, Anm.) und hat keine Behaltefrist. Wir bezahlen 75 Prozent und haben eine Behaltefrist (bis zu vier Monate). Die Krise ist heute eine andere als in jenen Tagen, in denen wir das Modell abgeschlossen haben. Wenn ein Modell nicht mehr taugt, müssen wir es ändern.

Foglar: Wir haben ein bestehendes Modell, das für viele Betriebe kein Problem darstellt.

Die Gewerkschaften gehen auf die Straße, wenn die Löhne um 2,5 Prozent steigen. Was darf man sich da erst nächstes Jahr erwarten?

Foglar: Nur zur Erinnerung: Die Demonstration hat erst stattgefunden, nachdem viele Verhandlungsrunden (u.a. mit Drucker- und IT-Angestellten, Anm.) ergebnislos geblieben sind. Was wir im Herbst zu erwarten haben, ist schwer zu beurteilen. Niemand kann die Entwicklung abschätzen.
Sorger: Wir sind in vielen Punkten ja auch einer Meinung. Aber Sie benutzen eine Demonstration dazu, klassenkämpferische Themen zu propagieren. Mit dem Effekt, dass große Stifter vor den Toren Salzburgs stehen bleiben und ihr Vermögen eben nicht nach Österreich bringen. Weil wir ein bewährtes System vernadern. Jetzt verstehe ich schon, dass der ÖGB sensibel ist, was das Thema Stiftungen betrifft, die Gewerkschaft hat ja selber genügend davon.
Foglar:
Das weise ich entschieden zurück.

Sorger: Wenn die Zielrichtung Vermögenssteuer, Vermögenszuwachssteuer und Börsenumsatzsteuer ist, werden wir das bei den Ansiedlungen spüren.

Die Krise scheint Ihnen beiden zu nutzen: Die Wirtschaft kann nun manches leichter durchsetzen und die krisengebeutelte Gewerkschaft ihr Profil mit linken Positionen schärfen.

Foglar: Immer, wenn es um steuerliche Gerechtigkeit geht, rückt man uns in die Ecke des Klassenkampfes. Es geht nicht darum, das Investitionsklima zu verschlechtern, sondern um Steuergerechtigkeit. Vermögenszuwächse sollen derselben Besteuerung unterliegen wie jedes Sparbuch. Wenn die Staatsausgaben zu zwei Dritteln aus Lohn- und Umsatzsteuer finanziert werden, dann leisten unternehmensbezogene Steuern keinen fairen Beitrag.

Sorger: Ein Hochsteuerland mit neuen Steuern zuzupflastern ist der falsche Weg. In einer Krisenzeit kommen strukturelle Schwächen eines Wirtschaftssystems stärker zutage. Daher muss alles unternommen werden, diese zu beseitigen. Das führt zu Begradigungen, Fusionen, Insolvenzen. Am Ende des Tages aber auch zu einem gesünderen System.

Herr Foglar, der ÖGB hat ja in seiner Krise auch selbst Sozialleistungen gekürzt. Etwa die Zusatzpensionen der Mitarbeiter. Haben Sie damit einen Präzedenzfall geschaffen?

Foglar: Mit dem neuen Vereinsgesetz mussten wir von einem Jahr auf das andere hohe Rückstellungen bilden, während der Wirtschaft in ähnlichen Fällen lange Übergangsfristen gewährt wurden. Zudem ist die Bawag-Dividende weggefallen. Daher mussten wir Maßnahmen ergreifen, obwohl das für uns furchtbar war. Aber anders ging es nicht.

Sorger: So wie es der Gewerkschaft geht, geht es vielen anderen Betrieben bei uns, wo zu drastischen Maßnahmen gegriffen werden muss, wenn es das Umfeld verlangt.

Was braucht es, um aus der Krise wieder rauszukommen?

Sorger: In Forschung und Entwicklung muss jedes Geld investiert werden. Zudem sollten wir bei allen Fragen, die Unternehmen zusätzlich belasten – dazu gehört auch die Lohnfrage –, äußerst behutsam vorgehen. Wir brauchen mehr betriebliche Vereinbarungen, auch wenn das für die Gewerkschaft ein Tabubruch ist.

Foglar: Wir glauben auch, dass Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung der richtige Weg sind. Unser oberste Priorität ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wir werden aber auch nicht umhinkommen, über Arbeitszeitverkürzungen und eine andere Verteilung der Arbeitszeit nachzudenken, weil wir nicht so schnell jenes Wachstum wiedererlangen werden, wie wir es vor dem Einbruch hatten.

Arbeitszeitverkürzung, die zu keiner Minderung der Kaufkraft führt?

Foglar: Natürlich ist das eine sehr sensible Geschichte, weil es da auch den Wunsch der Industrie nach Flexibilisierung gibt. Da gibt's schon Modelle, die beides vereinbaren: Arbeitszeitverkürzung und Flexibilisierung. Das darf aber nicht zur Reduzierung des Einkommens führen. Ein schwieriges Thema, aber wenn man es vernünftig angeht, findet man eine Lösung.

Klingt stark nach 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich.

Foglar: Das ist aus anderen Zeiten, wir brauchen neue Modelle.

Sorger: Modelle, mit denen die Arbeitskosten der Unternehmen aber nicht erhöht werden dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2009)

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