200 Jahre politische Paranoia in Amerika

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Ideengeschichte. Von der Panik vor Illuminaten, Freimaurern und dem Papst über die Senatoren McCarthy und Goldwater bis zur Demagogie Donald Trumps erfassen Verschwörungsfantasien seit jeher Teile des amerikanischen Volkes.

An einem drückend heißen Tag in diesem Washingtoner Spätsommer haben sich rund 1000 Menschen vor dem Kapitol zusammengefunden, um gegen das iranische Nuklearabkommen zu protestieren. Einem Aufruf der Tea-Party-Bewegung folgend sind allerlei Exzentriker erschienen, ein Herr im Rock und Dreispitz eines Kolonisten von 1773 ebenso wie einer im Captain-America-Kostüm. Zentral vor der Rednerbühne, auf der gleich der Baumilliardär Donald Trump und der Senator Ted Cruz sprechen werden, sammelt ein Grüppchen von Jünglingen in den roten Schärpen der „American Society for the Defence of Tradition, Family and Property“ Unterschriften für eine Petition an den Papst, in der sie vor „dissidenten katholischen Einflussgruppen“ warnen, die „unterstützt von den liberalen Medien fieberhaft daran arbeiten, bei der Familiensynode in Rom wichtige Kirchenlehren niederzureißen“.

Inmitten all dessen steht Anita Barnier, eine 66-jährige Hausfrau aus Virginia, und passt mit ihrer dezenten Kleidung und freundlichen Miene nicht recht hierher. Wieso ist sie gekommen? „Weil ich denke, dass unser Präsident böse ist. Er ist auf der Seite all dieser Moslems. Er ist wie ein Diktator, der macht, was er will.“ Vielleicht schicke die Regierung Mexikos ja wirklich „alle ihre schlechten Äpfel“, die Vergewaltiger, Mörder und Diebe, gezielt in die USA, wie es Trump behauptet. „Wir wissen nicht, welche Terroristen da über die Grenze kommen“, fügt sie hinzu, einnehmend lächelnd.

Töchter, Konkubinen der Illuminaten!

Auf Veranstaltungen wie dieser und auf den Plattformen der republikanischen Präsidentschaftsanwärter hört man so etwas oft. Enorme Verschwörungen, die wahlweise von Teheran, Peking oder dem verhassten Washington aus an der Zerrüttung der Moral der Amerikaner und ihrer Unterjochung unter eine Despotie werken, die, je nach Laune, islamistisch, sozialistisch oder homosexuell-hedonistisch geprägt ist. Der Feind ist so niederträchtig wie machtvoll. Auf besagter Demonstration vor dem Kapitol erklärt Ted Cruz, Senator und Präsidentschaftsanwärter, im salbungsvollen Ton eines Baptistenpredigers, dass der Iran jederzeit eine Atomwaffe auf einem Boot im Atlantik zünden, damit einen elektromagnetischen Impuls auslösen und Dutzende Millionen Amerikaner ermorden könne.

Dieser politische Stil, der auf Verschwörungsfantasien, schriller Übertreibung und dem manichäischen Kampf zwischen Gut und Böse fußt, ist fast so alt wie die Vereinigten Staaten. Schon vor 50 Jahren verfolgte der Historiker Richard Hofstadter in seinem Essayband „The Paranoid Style in American Politics“ dessen Wurzeln bis ins Jahr 1797. Damals kursierte in der jungen Republik ein Buch namens „Proofs of a Conspiracy against all the Religions and Governments of Europe“, in denen der frühere schottische Freimaurer John Robison Weltumsturzpläne der Freimaurer und Illuminaten nachzuweisen behauptete. Ob jemals ein Anhänger des Illuminismus, der 1776 vom Ingolstädter Rechtsprofessor Adam Weishaupt gegründet worden ist, den Sprung über den Atlantik geschafft hat, ist unbekannt. Doch als Bête noire, die libertär, antichristlich, der Verführung der Frauen und Kultivierung leiblicher Genüsse verschrieben war, erfasste er die aufgereizte Fantasie puritanischer Gelehrter. „Sollen unsere Söhne die Jünger Voltaires werden, unsere Töchter die Konkubinen der Illuminaten?“, warnte am 4. Juli 1798 Timothy Dwight, Präsident der Yale University.

In den 1820er-Jahren lösten die Freimaurer die Illuminaten als Schreckgespenster ab. Kosmopolitische Geheimzirkel mächtiger Gelehrter, die mit Blutritualen ihren Pakt zur Weltbeherrschung besiegelten: So ein fieberhaftes Wahnbild lockte viele Amerikaner, die sich mit der Industrialisierung, Urbanisierung und Globalisierung ihrer bisher agrarisch geprägten Gesellschaft protestantischer Landjunker nicht abfinden wollten.

Metternichs jesuitische Geheimagenten

Danach sorgte ein angeblicher katholischer Umsturzplan für Verschwörungsfieber. 1835 beschrieb S. F. B. Morse, Erfinder des gleichnamigen Apparats, in „Foreign Conspiracy against the Liberties of the United States“, wie Metternich die Machtergreifung in Amerika plane. „Österreich ist nun hier tätig“, warnte Morse: „Jesuitische Missionare reisen durch das Land“, im Auftrag Wiens. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Habsburgerherzog als Kaiser von Amerika installiert werde. Angebliche katholische Verschwörungen witterte man auch später noch. Die Depression von 1893 zum Beispiel sei von Katholiken mit einem abgestimmten Run auf die Banken ausgelöst worden; eine gefälschte Enzyklika von Papst Leo XIII. rief Amerikas Katholiken im selben Jahr zum Mord an allen Häretikern auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte dieser paranoide Politikstil unter der Anführung des fanatischen Kommunistenjägers Joseph McCarthy seinen Höhepunkt. „Wie können wir unsere jetzige Situation anders erklären als mit dem Glauben daran, dass Männer in hohen Regierungsfunktionen sich verschwören, um uns zerstören?“, brachte der Senator sein Credo 1951 auf den Punkt.

Der Feind im eigenen Land: Diese Wahnidee bringt die seltsamsten Blüten zum Knospen. 1963 zum Beispiel ging das Gerücht um, eine Militärübung der US-Armee im Teilstaat Georgia sei in Wahrheit eine Operation der Vereinten Nationen, um die Macht in den USA zu ergreifen. Diese Fantasie erhitzt auch heute noch konservative Gemüter: Greg Abbott, der Gouverneur von Texas, wies heuer die texanische Garde an, das Manöver Jade-Helm der US-Armee zu überwachen. Damit reagierte er auf Gerüchte in Tea-Party-Internetgruppen und konservativen Radiosendungen, denen zufolge Jade-Helm der Machtergreifung Washingtons in Texas diene (einschließlich heimlicher Tunnel unter Supermärkten, durch die chinesische Truppen von der mexikanischen Grenze kommend einmarschieren würden).

„Das Prägende am paranoiden Stil ist nicht der Umstand, dass seine Vertreter in der Geschichte hier und dort Verschwörungen oder Geheimpläne sehen, sondern dass sie eine umfassende Verschwörung als die treibende Kraft historischer Ereignisse betrachten“, schrieb Hofstadter: „Geschichte ist eine einzige Verschwörung, die von dämonischen Mächten beinahe transzendenter Kraft in Bewegung gesetzt wurde.“ Besiegt werden könne sie folglich „nicht durch die üblichen Methoden politischen Gebens und Nehmens, sondern nur durch einen totalen Kreuzzug“. Diese Weltsicht wirke paradoxerweise viel schlüssiger als die echte Welt, gab Hofstadter zu bedenken. Denn wer an die Weltverschwörung glaubt, muss sich nicht mit Widersprüchlichkeiten abgeben.

Die Goldwater-Revolution von 1964

Der Vertreter des paranoiden Politikstils steht ständig auf den Barrikaden der Zivilisation, in einer säkularen Form des endzeitlichen Adventismus einen Kulturkampf nach dem anderen ausfechtend. Kein amerikanischer Politiker ist mit dieser Haltung bisher so weit gekommen wie Barry Goldwater. 1964 organisierte der Senator aus Arizona auf dem republikanischen Parteitag in San Francisco eine Revolte und ließ sich zum Präsidentschaftskandidaten küren. „Mein Ziel ist nicht, Gesetze zu beschließen, sondern sie abzuschaffen“, lautete eine seiner Devisen. Er wollte aus der UNO austreten, erklärte, dass er „Washington und die Zentralregierung mehr fürchte als Moskau“ und dass Urteile des Obersten Gerichtshofes nicht notwendigerweise geltendes Recht seien (Letzteres hört man heute übrigens, nach dem Urteil über die Rechtmäßigkeit der Ehe Gleichgeschlechtlicher, wieder von manchen Republikanern, etwa dem früheren Gouverneur von Arkansas und heutigen Präsidentschaftsbewerber Mike Huckabee).

Goldwater verlor die Wahl gegen Amtsinhaber Lyndon B. Johnson mit nur 38,5 Prozent der Wählerstimmen haushoch. Jeder fünfte seiner Wähler war laut Umfragen nicht bloß republikanischer Stammwähler, sondern glühender Goldwater-Anhänger. Das wären rund acht bis zehn Prozent aller Bürger, so viele, wie heute der Tea Party zuneigen: genug also, um in vielen Teilstaaten die Vorwahlen für den Kongress zu dominieren.

„Wir sind alle Leidtragende der Geschichte“, schrieb Richard Hofstadter vor einem halben Jahrhundert. „Aber der Paranoide leidet zweifach, weil er nicht nur mit dem Rest von uns von der echten Welt geplagt wird, sondern auch von seinen Fantasien.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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