Philisophicum Lech: Im Himmel der (klimatisierten) Supermenschen

(c) ORF (Andy Hooper)
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Darf man mit Prothesen bei den Olympischen Spielen antreten? Sollen wir Gene per Keimbahntheorie reparieren? Und welches Wetter werden sich die Transhumanen wünschen? Fesselnde Debatten am Arlberg.

Paulus sagt: Kein Ohr hat es gesehen.“ Dieser hübsche Versprecher, der dem – an sich höchst bibelfesten – Theologen Dietmar Mieth am Ende des Philosophicums passierte, passte gut zu einem zentralen Thema der Tagung: dem Transhumanismus. Dessen Vertreter wollen sozusagen durch Technik den Übermenschen schaffen, den sie natürlich nicht so nennen, sondern superhuman oder posthuman.

Der britische Künstler Neil Harbisson ist schon auf diesem Weg: Er sieht mit den Ohren, und zwar auch Frequenzen, die Menschen gemeinhin nicht sehen, im IR- und UV-Bereich. Zu diesem Behufe trägt er am Kopf einen Eyeborg, ein Gerät, das Farben in Töne verwandelt. So geht er durch den Supermarkt und hört die bunten Melodien des Obstes und der Suppendosen. Mit den Augen sieht er sie nicht: Harbisson ist farbenblind. Der erste behördlich anerkannte Cyborg, wie er sich selbst nennt, hat ein Gebrechen, ein Defizit zu kompensieren – und schießt dabei übers Ziel hinaus. Wie der Läufer Oscar Pistorius: Ihm wurden aufgrund einer Fehlbildung mit elf Monaten die Beine unterhalb der Knie amputiert, er erhielt Fußprothesen. Mit ihnen läuft er so gut, dass er nach Siegen bei Paralympics-Bewerben 2008 bei den Olympischen Spielen antreten wollte. Der Weltverband der Leichtathletik erlaubte das zunächst nicht, mit dem Argument: Die Prothesen würden ihm einen unfairen Vorteil verschaffen.

„Konstante Selbstverbesserung“

Prothesen als Wunderwaffen, ihre Träger als Superhelden, Behinderte als besonders zukunftstaugliche Menschen: „Meet The Superhumans“, der Werbespot für die Paralympics 2012, ein Hybrid aus Videoclip und Actionfilm, inszeniert Behinderung ganz neu, als Herausforderung, die man mit Trotz und Technik bewältigt. „Die Erzählung vom ,overcoming‘, der Überwindung eines Defizits, verbindet sich schmiegsam mit dem neoliberalen Imperativ der konstanten Selbstverbesserung“, sagte Karin Harasser, Kulturwissenschaftlerin in Linz, in ihrem vor Ideen und popkulturellen Bildern sprühenden Vortrag. Anne Siegetsleitner, Philosophin in Innsbruck, schloss mit einem Zitat von Karl-Markus Gauß an: „Wenn die sozialen Utopien zu Schanden gehen, gähnt eine Lücke auf, die wie geschaffen dafür ist, dass in sie die Verheißungen der Technologie gestopft werden.“

Diese sind grenzenlos: Im Transhumanismus, so Siegetsleitner, gibt es – wie übrigens auch in der Evolution – keinen Endzustand, mit dem man sich zufriedengeben kann, kein „Siehe, es war gut“. Er verheißt auch eine Rücknahme der größten Kränkung, die die Natur uns antut, unserer Verderblichkeit und Sterblichkeit. In letzter Konsequenz also der Körperlichkeit: „To redo the human we must begin by redoing the human body“, schrieb F.M.Esfandiary 1973 in seinem futuristischen Manifest „Up-Wingers“: „The body has been our greatest hang-up. Our most serious obstacle to a higher evolution.“

Solches Pathos kann die gute – oder schlechte? – alte Evolution nicht bieten. Die kennt, wie Harasser hervorhob, keine ultimativen Ziele, sondern nur aktuelle Anpassungen an konkrete Herausforderungen. Fitness ist immer relativ. In den Tropen zum Beispiel ist es von Vorteil, wenn man an einer ganz bestimmten Stelle des Chromosoms 11 eine Mutation hat, die schützt nämlich vor Malaria. Im kalten Norden, wo's keine Malaria gibt, bringt einem diese Mutation nichts. Darum ist sie dort auch kaum verbreitet. Und auch die Sichelzellenanämie nicht. Denn diese Blutkrankheit entsteht, wenn man die Mutation doppelt hat, einmal vom Vater, einmal von der Mutter geerbt.

Gentherapie: Nebenwirkungen!

Mit diesem Beispiel illustrierte Humangenetiker Markus Hengstschläger virtuos die Tücken seiner Zunft: Wenn es gelingt, ein mit einer schädlichen Mutation behaftetes Gen gegen ein intaktes zu tauschen – oder die Mutation zu reparieren –, kann das unerwünschte Nebenwirkungen bringen. Denn kaum ein Gen spielt nur eine einzige Rolle. Das ist bei somatischer Gentherapie – die freilich kein Leichtes ist, muss man doch eine große Menge von Zellen „behandeln“ – nicht so gefährlich, wohl aber bei Keimbahntherapie. Denn deren Eingriffe pflanzen sich auf alle Nachkommen fort. So könnten Gen-Varianten schnell aus dem Genpool verschwinden, die wichtig sind – oder in Zukunft wichtig werden könnten. Denn die Evolution „hat gern viele Antworten auf Fragen, die sie noch gar nicht kennt“, so Hengstschläger. In diesem Sinn sprach er sich mit erfrischender Klarheit dafür aus, dass die Keimbahntherapie verboten bleibt.

Air Conditioning und Langeweile

Umfassende genetische Korrekturen – inklusive Abschaffung der sexuellen Begierde und der Notwendigkeit des Essens – dichtete Michel Houellebecq in seinem Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ den Neo-Menschen in ca. 2000 Jahren an. Sehr beschaulich leben sie, und wenn ihre Vorfahren nicht die Fähigkeit zur Langeweile genetisch abgeschafft hätten, wäre ihnen fad in ihren isolierten Wohnstationen. In denen sie auch keinem Wetter ausgesetzt sind: In einer Zukunft, in der – wie im Song „Heaven“ der Talking Heads – nichts mehr passiert, ist auch das Air Conditioning perfekt. Eine mögliche Endform des Anthropozäns, der Ära, in der der Mensch das Klima so katastrophal beeinflusst wie einst Vulkane und Meteoriten?

Eva Horn, Literaturwissenschaftlerin in Wien, verfolgte in ihrem fantastischen Vortrag, wie das – neuerdings menschgemachte – Klima wiederum die Menschen und ihre Kulturen prägt. „Das Klima zwinget nicht, sondern es neiget“, sagte Herder – und konstatierte, dass „der Mensch auch darin zum Herrn der Erde gesetzt sei, dass er es durch Kunst ändre.“ Auf verrücktere Weise prognostizierte Charles Fourier, Mathematiker und Protosozialist, 908 einen Klimawandel: Mit der durch Kräfte der Leidenschaft geförderten sozialen Neuordnung werde auch die Erde in eine „Brunft“ geraten, Städte am Polarkreis würden so warm wie Nizza werden. Der neue Mensch im neuen Klima.

In Lech, wo gnädige Wolken die Sonne verdeckten, um die philosophierende Schar nicht in Versuchung zu führen, war es noch nicht so weit. Sogar die Smartphones – die, wie Sascha Dickel (TU München) feststellte, unvorhergesehen über uns gekommen sind, während alle über sexy Cyborgs debattierten – ruhten zeitweilig im Flugmodus. Konrad Paul Liessmann lobte seines, gut zum Veranstaltungsort, der Kirche von Lech, passend: Er habe die ganze Bibel als App.

So antwortete er auf den Theologen Mieth, der sich vehement für mehr Transparenz des „Machtsystems aus Wissenschaft, Technik und Ökonomie“ aussprach. Und eben erzählte, dass er ein zum Thema passendes Jesuswort – „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ – durch Telefonat nach Tübingen prüfen musste. Denn im Hotel Berghof in Lech fand er keine Bibel. Wer Ohren hat zu hören...

Jubiläum: Vom 21. bis 25.September 2016 findet das Philosophicum Lech zum 20.Mal statt. Entsprechend weit ist das Thema: „Über Gott und die Welt. Philosophieren in unruhiger Zeit.‘

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2015)

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