Mitterlehner: "So Unrecht hat Orban ja nicht"

Reinhold Mitterlehner
Reinhold Mitterlehner(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die ÖVP sei in ihrer Positionierung dort, wo auch die CSU sei, sagt Parteichef Mitterlehner. Über den Familiennachzug bei den Flüchtlingen werde man diskutieren müssen: "Weil das auch ein Finanzierungsproblem ist."

Die Presse: Taferln mit „Kein Asyl à la Carte“ im Parlament – das hätte auch von der FPÖ sein können.

Reinhold Mitterlehner: Wir haben eben momentan das Problem der Zuspitzung. Das ist aber gleichzeitig auch eine Verdeutlichung gegenüber den Bürgern, dass wir die Probleme ernst nehmen. Wobei es schon einen klaren Unterschied zur Linie der Freiheitlichen gibt. Wir sagen nicht: Ausgrenzen – und das Problem ist erledigt. Sondern wir sagen auch, dass wir jenen helfen müssen, die Schutz brauchen.

Dieser Aktionismus sieht aber schon auch ein wenig nach Torschlusspanik vor der Oberösterreich-Wahl aus.

Wir wollen den Bürgern vermitteln, dass wir nicht ohnmächtig zusehen, sondern dass wir eine Handlungs- und Steuerungsfähigkeit wahren. Wir gehen einen Schritt vor – und nach einer gewissen Zeit einen weiteren Schritt. In der Positionierung sind wir da in der ÖVP in etwa dort, wo auch die bayrische CSU ist. Alles Verständnis für jene, die Schutz brauchen. Aber kein Verständnis dafür, wenn zu viele Flüchtlinge kommen. Nach einer Methode, wo sich dann jeder das für ihn bessere Land aussucht. Da muss es Spielregeln geben. Was die Leute am meisten irritiert ist: Sie sind hilfsbereit, aber sie haben den Eindruck, das Rechtssystem, die staatlichen Strukturen – das alles gilt nicht mehr. Das Asyl-System kann aber keine Form der Einwanderung sein. Dieses ist auf Individualität, auf Prüfung des Einzelfalls ausgerichtet – und das funktioniert derzeit bei diesem Massenansturm nicht mehr.

Sie haben zuletzt selbst deutlich die Wortwahl verschärft, unter anderem von einer „friedlichen Invasion“ gesprochen. Weil Sie das Gefühl haben, dass die Bevölkerung das hören will?

Ich bin kein Populist, der das nachredet, was die Bevölkerung will. Aber ich war jetzt an den Wochenenden sehr viel unterwegs. Und da war der Eindruck: Die Politik reagiert hier nicht. Daher ist es notwendig, die Menschen einmal dort abzuholen, wo sie stehen. Und sie dann dorthin zu führen, wo unserer Meinung nach die richtige Lösung ist. Schutz dort, wo er nötig ist. Aber bei Wirtschaftsflüchtlingen muss man sagen: Leider – derzeit nicht. Wir möchten das schon selbst in der Hand haben, wer kommt und wer nicht. Unbeschränkter Zugang zu jeder Zeit – das überfordert alle.

Sie haben sich am Mittwoch mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orban getroffen. Was haben Sie da besprochen?

Wir hatten mit Ungarn immer gute Beziehungen. Und so Unrecht hat Viktor Orban ja nicht. Wenn er meint, dass die EU ihm sagen soll, was sie eigentlich von ihm will: Soll er nun die EU-Außengrenze schützen? Oder gilt Dublin II und III nicht mehr? Orban ist der Erste in der Kette. Ungarn will auch nicht allein im Regen stehen bleiben.

Die Methoden sind halt eher zweifelhaft. Schießbefehl an der Grenze...

Das habe ich auch zum Ausdruck gebracht. Damit bin ich auch nicht einverstanden. Auch Orban ist über die Bilder natürlich nicht glücklich. Aber ein Grenzzaun hat nur dann einen Sinn, wenn er auch respektiert wird. Ich bin jetzt einmal froh, dass wir beginnen, an den EU-Außengrenzen Hot-spots zu errichten. Wobei da noch nicht ausdiskutiert ist, ob jene, die anders ins Land gekommen sind, dann zurück transportiert werden müssten zu den Hot-spots. Denn ansonsten würde man die Hot-spots wiederum umgehen.

Soll Österreich fürs Erste seine Grenzen selbst rigoroser kontrollieren? Und wenn ja – wie?

Nur dann, wenn die EU das nicht an den Außengrenzen tut. Sonst werden alle Länder damit beginnen, derartige Grenzen selbst hochzuziehen. Und zwar deswegen, weil die eigenen Bürger den Eindruck haben, sie seien nicht mehr Herren im eigenen Land.

Wissen Sie, woher die Menschen eigentlich alle sind, die nun zu uns kommen?

Von den Asylanträgen her sind 70 Prozent aus Syrien, die zweitgrößte Gruppe ist mit 20 Prozent aus dem Irak, gefolgt von zehn Prozent Afghanen.

Kommen wir zu Ihrem Asyl-auf-Zeit-Vorschlag: Ist das wirklich ein geeignetes Modell? Wozu sollen sich Menschen integrieren, einen Job suchen, wenn sie das Land nach drei Jahren wieder verlassen müssen? Das ist doch ein Anreiz, einfach nur die Mindestsicherung zu beziehen.

Also manchmal verstehe ich die Extremstandpunkte nicht, die jetzt damit verbunden werden. Wenn jemand hier Sprachkenntnisse erwirbt, berufliche Kenntnisse, dann ist das für ihn ja auch ein Vorteil, wenn er dann zurückkehrt. Es geht hier auch um eine doppelte Signalwirkung. Nach außen in Richtung der Quellenländer: Unbeschränkt und à la carte wird es nicht gehen können. Und auch nach innen: Damit die Bevölkerung nicht das Gefühl hat, dass wir nicht mehr selbst über unsere Geschicke befinden können.

Wird es bei Asyl auf Zeit einen Familiennachzug geben können?

Laut Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts gibt es die Möglichkeit des Familiennachzugs. Aber wir werden auch diese Frage des Familiennachzugs – obwohl das jetzt noch keiner wahrhaben will – in den nächsten Wochen diskutieren müssen. Weil das auch ein Finanzierungsproblem ist. Und auch ein Problem von der Anzahl der Betroffenen her.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

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