Fifa-Skandal: Die Neuordnung im Weltfußball

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USA werten Ermittlungen gegen den Weltverband als "Rico Act" - als Kampf gegen eine kriminelle Organisation. Sepp Blatter steht vor der Suspendierung.

Zürich. Der Fußballweltverband Fifa implodiert. Alle Versuche, den Prozess des Zusammenbruchs aufzuhalten, müssen scheitern. Die Schlinge der Strafverfolgungsbehörden in den USA, der Schweiz, Uruguay, Brasilien, Südafrika und einigen anderen Nationen zieht sich immer weiter zu. Gegen den bislang allmächtigen Präsidenten, Joseph Blatter, der sich selbst gern als Pate dieser mafiosen Familie bezeichnet, wurde nun sogar ein Strafverfahren eröffnet.

Seine Suspendierung durch die hausinterne Ethikkommission, auf deren Arbeit man allerdings nicht viel geben sollte, steht unmittelbar bevor. Auch Michel Platini, Fifa-Vize und Präsident des europäischen Verbandes Uefa, wird sich nicht mehr lang halten können, nachdem die Schweizer Bundesanwaltschaft bekannt gab, dass Platini von Blatter im Frühjahr 2011 zwei Millionen Schweizer Franken erhalten hat, die angeblich – so stellt es Platini dar – für die Dienste des Franzosen als Fifa-Angestellter und Blatter-Berater in den Jahren 1999 bis 2002 gewesen sein sollen.

Blatter und Platini hassen sich

Doch wer glaubt diesen Unsinn noch, diese hilflosen Finten und Lügen? Tatsache ist, dass Platinis Uefa-Führung im Jahr 2011, wenige Tage nachdem die zwei Millionen von Blatter auf Platinis Konto eingingen, die Unterstützung aller 53 damaligen europäischen Nationalverbände auf dem bevorstehenden Fifa-Wahlkongress anordnete. Blatter musste sich damals mit Mohamed bin Hammam aus Katar auseinandersetzen. Auch Platini, obwohl Katar-Fan und Unterstützer, wollte die Präsidentschaft von Bin Hammam verhindern, weil er selbst einige Jahre später Blatter beerben wollte. Inzwischen ist Bin Hammam wegen schwerer Korruption lebenslang gesperrt.

Joseph Blatter muss eine Gefängnisstrafe fürchten, Platini hingegen steht vor den Trümmern seiner sportpolitischen Karriere. Blatter und Bin Hammam haben sich einst Brüder genannt. Blatter und Platini hatten einst ein Vater-Sohn-Verhältnis. Blatter hat beiden die Fifa-Präsidentschaft versprochen – stets hat er sein Wort gebrochen und ist immer wieder angetreten, Ende Mai 2015 hat ihn der Kongress zum vierten Mal im Amt bestätigt. Blatter und Bin Hammam wurden Todfeinde. Blatter und Platini hassen sich.

So läuft das in der Mafia-Familie namens Fifa. Tatsächlich erfüllen die Struktur und die Usancen im Reich, das von Joseph Blatter seit 1975 in verschiedenen Funktionen (Direktor, Generalsekretär, Präsident) maßgeblich geprägt wurde, alle Voraussetzungen, um das Konstrukt Fifa als kriminelle Vereinigung zu charakterisieren. Das amerikanische Justizministerium, die Bundespolizei FBI, die Steuerbehörde IRS, Staatsanwälte und Richter behandeln die Fifa als sogenannte „Rico“ – Racketeer Influenced Corrupt Organization –, als von Gangstern dominierte kriminelle Organisation.

Das ist wichtig, denn der Weltverband, nationale sowie kontinentale Ableger (die Amerikaner ermitteln besonders gegen die nordamerikanische Konföderation Concacaf und Südamerikas Verband Conmebol) fallen damit unter den „Rico Act“, ein Gesetz aus dem Jahr 1970, das die rechtlichen Optionen erweitert, gegen organisierten Kriminalität vorzugehen. Auf Grundlage dafür wurden und werden einige spektakuläre Strafprozesse inklusive gigantischer Schadenersatzklagen durchgezogen, etwa gegen die US-Tabakindustrie, gegen Umweltschänder, gegen Mafia-Clans – und nun eben gegen die Fifa.

Deal oder sehr lange Haftstrafe

Nur wenige Beispiele aus diversen Besetzungen des Exekutivkomitees der vergangenen Jahre: Ex-Präsident João Havelange (Brasilien) hat mehr als 20 Millionen Dollar Schmiergeld kassiert. Sein einstiger Schwiegersohn, Ricardo Teixeira, hat mehrere hundert Millionen Dollar Schmiergelder abgezweigt. Blatters langjähriger Stellvertreter Don Julio Grondona (Argentinien) hatte Schwarzkonten, die mit mehr als 100 Millionen Dollar prall gefüllt waren. Acht von neun aktuellen europäischen Vorstandsmitgliedern sind in unterschiedlichem Maß belastet. Die ehemaligen Vizepräsidenten und Blatter-Stimmenbeschaffer, Jack Warner (Trinidad), Jeffrey Webb (Cayman Islands) und Eugenio Figueredo (Uruguay), haben insgesamt viele Dutzend Millionen kassiert. Warner, Webb und Figueredo drohen Haftstrafen in den USA von mehreren Jahrzehnten.

Webb ist auf Kaution frei und wird in Kürze vor Gericht einen Deal anstreben. Figueredo, der seit 27. Mai in der Schweiz in Untersuchungshaft sitzt, wird demnächst an die USA ausgeliefert. Warner konnte die Auslieferung vorerst auf Anfang Dezember verschieben. Diese drei „Funktionäre“ dürften schleunigst „singen“, um ihren Lebensabend nicht in amerikanischen Gefängnissen zu verbringen. Der Druck der Strafandrohung in Kombination mit der Beschlagnahmung aller ergaunerten Reichtümer (Konten, Immobilien, Firmen) hat schon die Warner-Söhne Daryan und Daryll sowie den einstigen Vorstand Chuck Blazer (USA) gesprächig gemacht. Die drei, und einige mehr, wurden quasi zu Kronzeugen und dürfen auf mildere Strafen hoffen. Es geht um bandenmäßige globale Korruption, Geldwäsche, Betrug, Verschwörung, Erpressung – ein Struktur- und Kulturproblem der Fifa, die inzwischen führungslos ist. Denn vor zehn Tagen hat Blatter ja seinen Generalsekretär Jérôme Valcke suspendiert, wegen Privatgeschäften mit WM-Tickets. Noch erschreckende Fakten über ihn dürften bald publik werden.

Böses Spiel mit dem WM-Pokal

Für gewöhnlich werden derlei Aufzählungen mit dem Hinweis garniert, es gelte die Unschuldsvermutung. In allen genannten Fällen gilt das auch, aber es ist nicht mehr als eine Formalie. Fast alles ist unglaublich gut dokumentiert. Man lese Anklageschriften der US-Justiz, durch investigative Journalisten recherchierte Fälle, Untersuchungsberichte sowie Gerichtsakten zum Bestechungsprozess der ehemaligen Partneragentur ISL. All diese Dokumente beschreiben eine kriminelle Vereinigung, die mit einem Kulturgut der Menschheit gedealt hat: dem WM-Pokal.

Es wird in dieser Woche weitere Enthüllungen geben, weitere Anklageerhebungen und Festnahmen stehen unmittelbar bevor, das hat Loretta Lynch, die Justizministerin der USA, die bereits vor einigen Jahren die Fifa-Ermittlungen aufgenommen hat, in Zürich gesagt. Sie und der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber haben nicht zu viel versprochen. Das große Aufräumen hat gerade erst begonnen. Nichts wird mehr so bleiben, wie es einmal war – weder in der Fifa noch in der Uefa oder anderen Kontinentalverbänden.

Eine Diskussion über den Wahlkongress am 26. Februar 2016 und über möglichen Nachfolger für Blatter kann man sich sparen. Wer über Namen und Figuren spekuliert, hat den Ernst der Lage nicht begriffen. Der Weltfußball wird anders strukturiert werden müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2015)

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