Afghanistan: Taliban erobern Zentrum von Kunduz

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150928 KUNDUZ Sept 28 2015 Afghan soldiers retreat from the city following the Taliban at(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
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Die radikalislamischen Kämpfer nahmen große Teile der Provinzhauptstadt ein. Kunduz war einst eine der sichersten Regionen in dem Bürgerkriegsland.

Kunduz. In Kunduz weht seit Montag die weiße Fahne der Taliban auf dem zentralen Platz. Die radikalislamischen Kämpfer haben den Großteil der nordafghanischen Stadt erobert. Am Montag fanden in der Nähe des Gouverneurssitzes weiterhin Kämpfe statt, berichtete der Vize-Gouverneur Hamdullah Daneshi, der sich auf den Flughafen der 300.000 Einwohner zählenden Stadt geflüchtet hatte.

Die Taliban nahmen mehrere Regierungsgebäude und ein Provinzkrankenhaus mit 200 Betten ein, das mit deutscher Hilfe saniert worden war. Die deutsche Bundeswehr war im Oktober 2013 aus Kunduz abgezogen. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid drohte über Twitter, in dem Krankenhaus suchten Taliban-Kämpfer nun nach „verwundeten feindlichen Soldaten“. Die Taliban befreiten außerdem aus dem zentralen Gefängnis hunderte islamistische Kämpfer. Mehrere sollen sich ihnen angeschlossen haben.

Schon vor der Taliban-Offensive waren die Entwicklungen in der Provinz Kunduz alarmierend. Mehrfach griffen die Aufständischen in diesem Jahr bereits die Provinzhauptstadt an. Schon im April warnte Daneshi erstmals vor einer Eroberung der gesamten Provinz durch die Taliban.

Im Juni drangen die Taliban bis an den Stadtrand vor, wie Einwohner berichteten. Ebenfalls im Juni nahmen die Taliban den Distrikt Dasht-e-Archie ein, die anderen sechs Distrikte rund um die Stadt sind umkämpft. In Dasht-e-Archie hätten die Aufständischen neben Munition auch 25 bis 30 zum Teil gepanzerte Kampffahrzeuge vom Typ Humvee erbeutet, sagt ein afghanischer Regierungsmitarbeiter in Kabul, der anonym bleiben wollte. Mit den Humvees hat die US-Armee die afghanischen Sicherheitskräfte ausgerüstet.

Eingreiftruppe der Taliban

Der Regierungsmitarbeiter sagte noch vor der Offensive gegen Kunduz-Stadt, man gehe davon aus, dass inzwischen 80 Prozent der Provinz unter Kontrolle der Taliban seien. „Die Taliban haben inzwischen eine eigene schnelle Eingreiftruppe mit 600 Mann in Kunduz und sind sehr gut ausgerüstet.“ Diese Eingreiftruppe – eine solche Einheit unterhalten eigentlich nur hoch professionelle Armeen – greife bei Gefechten an Brennpunkten in Kunduz ein. Vizegouverneur Daneshi erklärte, dass Sicherheitskräfte in die Region unterwegs seien. Sie sollen verhindern, dass die Stadt gänzlich in die Hände der Taliban fällt.

Ein afghanischer Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte am Telefon: „Wir verstecken uns im Bad. Wir haben alle große Angst. Wir hören Schüsse rund 50 Meter entfernt von uns. Raketen fliegen durch die Gegend, und wir können Hubschrauber hören, die auf die Taliban schießen.“ Alle Ausländer seien zum Flughafen gebracht worden, nur noch Einheimische seien in der Stadt.

Kunduz galt einst als eine der sichersten Provinzen im Land; der Standort wurde unter deutschen Soldaten als „Bad Kunduz“ verspottet. Doch im Laufe der Jahre verschlechterte sich die Lage in der strategisch wichtigen Provinz erheblich. (DPA/Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2015)

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