Krisen und Konflikte können auch positive Effekte haben

Katastrophen führen oft zu überfälligen und letztlich insgesamt günstigen Veränderungen. So wird es auch in der Diesel- und der Flüchtlingskrise sein.

Vor genau 30 Jahren erschütterte Österreich der Weinskandal. Zur Versüßung hatten österreichische Winzer ihre Weine mit Glykol, einem Frostschutzmittel, versetzt. Wochenlang ging dieser Skandal durch alle lokalen und internationalen Medien. Keiner wollte mehr österreichischen Wein kaufen, Millionen Flaschen kamen zurück und mussten entsorgt werden, zahlreiche Weinproduzenten gingen in Konkurs. Doch dann setzte eine sehr günstige, bis heute anhaltende Entwicklung ein: In Österreich wurde eines der strengsten Weingesetze der Welt eingeführt, zum Teil junge neue Winzer begannen, qualitativ hochwertigsten Wein zu produzieren, bauten sich so einen Markennamen auf, und heute genießen österreichische Weine wieder größtes Ansehen in aller Welt.

Der jüngst bekannt gewordene Betrug des VW-Konzerns mit den Abgaswerten seiner Dieselfahrzeuge wird eine ähnliche Entwicklung nehmen. Der Imageschaden für die Traditions- und Qualitätsmarke VW ist unabsehbar, der wirtschaftliche Verlust wird Dutzende Milliarden Euro betragen, und das Thema wird noch wochenlang durch alle Medien geistern. Doch letztlich wird dann Erfreuliches geschehen: Die Ära der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren wird noch viel schneller zu Ende gehen, die immer unverständlich gebliebene Euphorie um Dieselfahrzeuge und deren unsinnige staatliche Förderung sind obsolet.

Das Zeitalter der Elektrofahrzeuge kann beginnen, mit gewaltigen Veränderungen für die Umwelt, den Verkehr und die internationale Politik, zumal dies zum wirtschaftlichen und sogar gesamtstaatlichen Zusammenbruch jener Staaten führen wird, die vom Erdölexport abhängig sind, wie die arabischen Länder, Russland und einige andere mehr.

Auch die derzeitige Flüchtlingskrise wird große – wenn auch nicht nur erfreuliche – Veränderungen für Europa bringen. Die europäischen Länder werden erkennen, wie dringend nötig sie die EU benötigen. Aber nicht zur Festlegung der maximalen Krümmung von Salatgurken oder als Entsorgungsstelle für ausgediente nationale Politiker. Künftig wird es zur Hauptaufgabe der EU werden, viel aktiver in das weltpolitische Geschehen einzugreifen. Die Nachkriegsparole: „Wir sind für den Frieden und gegen den Krieg“ hat ausgedient, Europa wird sich die Hände schmutzig machen müssen. Die Grenzen müssen gemeinsam dichtgemacht werden, und gleichzeitig muss in den Konfliktzonen, wenn nötig auch militärisch, eingegriffen werden, um den Auslöser der Fluchtbewegungen zu stoppen.

Mit den Konfliktherden im Nahen Osten und Afrika ist es nicht getan. Schon bald könnte ein Zusammenbruch Russlands und/oder der Ukraine noch viel größere Fluchtbewegungen in Richtung Europa auslösen. Auf solche Szenarien muss sich die EU vorbereiten und wird sich dabei nicht mehr darauf verlassen können, dass die USA die Drecksarbeit übernehmen. Gleichzeitig werden die zentral- und osteuropäischen Staaten in der EU immer stärker an Gewicht gewinnen, mit ihren starken antirussischen und antisozialistischen Reflexen und ihrer Sympathie für das angloamerikanische Gesellschafts- und Wirtschaftssystem.


Die Probleme bei der Integration von Muslimen in Europa, welche das westliche Wertesystem nicht akzeptieren oder gar bekämpfen, werden zu einem starken Wandel des politischen Klimas in den europäischen Ländern führen. Entweder die bisher dominierenden Parteien ändern ihre nachsichtige Politik gegenüber solchen Zuwanderern, oder sie werden von Nationalisten wie Le Pen in Frankreich, Orbán in Ungarn oder Österreichs FPÖ von der Macht gefegt werden, die dann erst recht eine harsche Änderung des innenpolitischen Klimas in Europa herbeiführen werden.

Dies sind zwar keine rosigen Perspektiven für Europa, aber nur so wird es gelingen, das westliche Wertesystem, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und den lieb gewonnenen Wohlstand zu erhalten – allerdings nicht mehr gratis, wie in den vergangenen 70 Jahren.

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Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2015)

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