Netflix: Der Fall der rosaroten Brille

File photo of the Netflix logo in Encinitas
File photo of the Netflix logo in EncinitasREUTERS
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Nie wieder Werbung. Nie mehr Serien verpassen. Das sind die Idealvorstellungen, wenn es um Netflix geht. Doch nichts ist perfekt, und vor allem in Europa hat der Dienst Schwächen.

Die erste Zusammenkunft mit Netflix war ein ähnlich erhebendes Gefühl wie damals Weihnachten als Kind. Alles ist neu, aufregend und gehört einem ganz allein. Mit dem Abschließen des Abos eröffnet sich eine ganz neue Welt: einer werbefreien und von Selbstbestimmung dominierten Welt: „Jetzt bestimme ich die Sendezeiten“ und „Pause ist, wenn ich auf den Knopf drücke“, waren die Leitmotive der ersten Monate. Man ist auf einmal Teil einer exklusiven Gemeinschaft, zu der nicht jeder Zugang hat, und wird zum Insider von „Orange Is the New Black“ oder „Grace und Frankie“, zwei Eigenproduktionen von Netflix.

Doch wie bei jeder neuen Liebe beginnt auch bei dieser „Paarbeziehung“ mit Netflix, der Alltag überhandzunehmen. Die anfänglichen Marotten beginnen zu stören, und die Neugierde verfliegt allmählich. Dann saugt man nicht mehr alles auf, sondern wird wählerischer und kritischer. Die Netflix-Vorschläge, die anhand der Sehgewohnheiten angeboten werden, sind gut, aber manchmal will man Klassiker sehen, etwa österreichische Klassiker. Sie sucht man aber vergebens.

Es wird schwierig. Und genau hier beginnen die Probleme. Aufgrund einer gescheiterten Übernahme befindet sich die österreichische Streaming-Plattform Flimmit im Besitz des ORF. Und diese haben die Rechte für „MA 2412“, „Poppitz“ und zum Beispiel auch „Hinterholz 8“. Und beim weiteren Durchforsten nach derartigen Klassikern wird klar, dass Netflix (zumindest in Österreich) nicht das umwerfende Angebot hat, wie es etwa in den USA der Fall ist.

Um dieses Problem will sich Netflix-Chef Reed Hastings kümmern und kündigte in einem Interview an, dass er endgültig die Ländergrenzen zwischen den verschiedenen Netflix-Angeboten aufheben wolle. Das würde zur Folge haben, dass alle Serien, die in den USA verfügbar sind, zur gleichen Zeit auch hierzulande im Angebot wären. Da hat Hastings aber noch viel Arbeit vor sich.

Das ist aber nicht die einzige Baustelle, denn auch die Suchfunktion führt oft ins Leere. Filme mit der US-Schauspielerin Meryl Streep werden nicht gefunden, obwohl nachweislich welche angeboten werden. Man kann auch in einzelnen Kategorien suchen, aber dann finden sich unter Serien wieder Dokumentationen und Filme. Das stört vor allem deswegen, weil man nach der anfänglichen Entdeckerphase sehr viel Zeit damit verbringt zu stöbern, als tatsächlich zu streamen.

Neu trifft Alt. Ein Grund für die zum Teil enttäuschende Auswahl an Filmen, Serien und Dokumentationen ist schnell gefunden. Hinter gewissen Streaming-Anbietern stehen große Konzerne. Sky gehört zu News Corp., weswegen nahezu alle Fox-Inhalte wegfallen, dazu zählen unter anderem „Die Simpsons“, „Akte X“. Auch der Konzern Vivendi, dem Universal gehört, hat mit Watchever eine Streaming-Plattform.

Als wäre das aber nicht kompliziert genug, gibt es dann noch Rechteinhaber und Lizenzvergaben im traditionellen TV-Geschäft, wodurch die von Netflix avisierten Ziele in weite Ferne rücken. Bis dahin bleibt allerdings der Nutzer auf der Strecke. Entweder man abonniert bis zu drei Anbieter und zahlt deutlich mehr als bei einem herkömmlichen TV-Anbieter, oder man ist bereit, Abstriche zu machen. Doch auch wenn man es nicht mehr durch die rosarote Brille sieht, hat Netflix gegenüber der Konkurrenz einen entscheidenden Vorteil: Man kann Filme in Originalsprache genießen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2015)

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