Tumorgerüchte: „Das waren höchstens Gespenster“

A man reads the Italian newspaper ´Quotidiano Nazionale´ in Rome
A man reads the Italian newspaper ´Quotidiano Nazionale´ in Rome(c) REUTERS (TONY GENTILE)
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Im entscheidenden Moment der Bischofssynode dichtet eine italienische Zeitung beim Papst einen Gehirntumor an.

Rom. „Jetzt wissen sie nichts mehr zu sagen. Nach tausend Lügen erfinden sie nun auch noch Krankheiten!” Wie genervt Pater Antonio Spadaro ist, geht aus seinem Aufschrei bei Twitter hervor. Spadaro ist Jesuit wie Franziskus, er gilt als einer der engsten Vertrauten des Papstes und er hat einen ebenso hellwachen wie beschützenden Blick auf das, was geschieht.

Passiert war in diesem Falle, dass der “Quotidiano Nazionale”, ein Verbund mittelitalienischer Lokalzeitungen, in der Nacht zum Mittwoch dem Papst einen Gehirntumor nachgesagt hatte. Einer der weltbesten Chirurgen auf diesem Gebiet, der Japaner Takanori Fukushima, sei eigens per Hubschrauber in den Vatikan geholt worden; die Untersuchung habe aber lediglich „einen braunen Flecken im Gehirn“ erbracht, „einen kleinen Tumor, der keinen chirurgischen Eingriff braucht“.

Die Nachricht saß: Franziskus, der so Beliebte, krank! Am Gehirn auch noch! Kann so ein Mann die Kirche überhaupt noch vernünftig leiten?

Kein japanischer Arzt bei Papst

So prompt und entschieden wie diesmal hat der Vatikan schon lange keine Meldung mehr dementiert. Noch mitten in der Nacht, buchstäblich, erklärte Sprecher Federico Lombardi die Nachricht als „vollkommen unbegründet“. Am Mittwoch Mittag legte Lombardi nach:  Er habe sich „bei allen notwendigen Stellen im Vatikan erkundigt, auch beim Papst selbst“: Es sei kein japanischer Arzt zur Visite im Vatikan gewesen, es habe keine Untersuchungen am Gehirn gegeben und auch keinen Hubschrauberflug. „Das können höchstens Gespenster gewesen sein.“ Und außer den paar „Problemen mit den Beinen, die wir alle immer wieder sehen“, gehe es dem Papst gut.

Keiner der bei dieser Pressekonferenz extra zahlreichen Journalisten fragte genauer nach. Allzu offensichtlich waren die Ungereimtheiten in der Geschichte des „Quotidiano Nazionale“. Und der Zeitpunkt der Veröffentlichung war ausgesprochen suspekt. Da schien jemand Interesse gehabt zu haben, eine Horrormeldung zu lancieren. Am Abend meldete sich dann auch noch das Büro des japanischen Arztes selbst: Niemals habe Fukushima den Papst behandelt oder untersucht, teilte eine Sprecherin der Nachrichtenagentur Reuters mit. Die Meldung sei „absolut falsch.“

Aufregung bei Synoder

Dafür sprach von Anfang an auch der Termin der Veröffentlichung: In Rom geht dieser Tage die dreiwöchige Bischofssynode ins Finale; da steht zur Debatte, ob die katholische Kirche ihre starre Ehe- und Familienmoral angesichts der gewandelten Gesellschafts-Standards aufweichen soll, und Franziskus gilt – auch wenn er sich zu den einzelnen Fragen bisher gar nicht geäußert hat – als ein Vorkämpfer der Reform. Schon vor der Synode nutzten die verschiedenen Parteien alle möglichen Medien für ihre Zwecke, und aus den laufenden Beratungen heraus twittern und bloggen die Würdenträger wie nie zuvor – so als wären sie Parlamentsabgeordnete, die jede Wortmeldung daheim vor ihrem Wahlkreis verteidigen müssten.

Wie hart die Kämpfe hinter den Kulissen  der Synode selbst sind, geht aus dem Bericht der deutschsprachigen Arbeitsgruppe hervor, der etwa zeitgleich mit der Krankheits-Story für Aufsehen gesorgt hat. „Mit großer Betroffenheit und Trauer“ formulieren die Bischöfe, hätten sie „die  undifferenzierten, falschen und verletzenden Äußerungen einzelner Synodenväter zu Personen, Inhalt und Verlauf der Synode“ aufgenommen. „Wir distanzieren uns entschieden.“

Zwar führen die deutschsprachigen Bischöfe keine Namen und keine Anlässe an, aber allein das Benennen von Konflikten und vor allem der öffentliche Rüffel für andere Bischöfe und Kardinäle ist im Vatikan bisher ohne Beispiel. Da muss es also etwas gegeben haben.

Gebrechen früherer Päpste lange verheimlicht

Im ersten Moment wenigstens – vor den entscheidenden Dementis und bevor sich die Indizienlage gegen den Zeitungsbericht kehrte – tauchten Erinnerungen wieder auf an Zeiten, in denen der Vatikan jedwede Erkrankung eines Papstes so lange verschleierte, wie es nur irgend ging: Bei Johannes Paul II. hatte  die Öffentlichkeit längst das Zittern seiner Hand gesehen, bevor Vatikan-Sprecher Joaquin Navarro-Valls, selbst ein Arzt, die Parkinson-Erkrankung einräumte. Andererseits hatte bei Benedikt XVI. niemand dessen Fähigkeit zur aktiven Kirchenleitung bestritten – obwohl man wusste, dass er Anfang der neunziger Jahre zwei Schlaganfälle erlitten hatte: Ein gutes Jahrzehnt später wählte man Joseph Ratzinger zum Papst; nach acht Jahren Amtszeit trat er zwar 2013 wegen allgemeiner Altersschwäche zurück, aber abgesehen von den normalen körperlichen Beschwerden seines Lebensabschnitts, geht es dem heute 88jährigen recht gut. Als einziger in der aktuellen Geschichte konnte Albino Luciani sein Papstamt krankheitsbedingt nur sehr kurz ausüben: Mit knapp 66 Jahren, 33 Tage nach seiner Wahl starb Johannes Paul I.  im September 1978 – an einem Herzinfarkt, all jenen Erklärungen nach, die Konspirationsfreunde nie glauben werden.

Im Falle Franziskus stellte sich im Lauf des Mittwochs nur eines als wahr heraus: Der japanische Spitzenarzt war ausweislich seines Blogs tatsächlich zweimal im Vatikan. Auf einem Foto zeigt er sich selbst beim Händeschütteln mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz – wie es Ehrengäste bei Generalaudienzen eben dürfen, ein anderes Mal war er auf Einladung „einiger Erzbischöfe“ im apostolischen Palast. „Ich habe zehntausend Euro gespendet“, schreibt der Professor. Und tatsächlich war er im Lauf iner siebentägigen beruflich-privaten Italien-Tournee tatsächlich mit dem Hubschrauber in Rom gelandet – in Rom, nicht im Vatikan.

Bei der Synode wird unterdessen eine Abneigung gegen Kirchenreformen immer deutlicher. Gerade in einem der Schlüsselthemen, der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten, plädieren einige der dreizehn Arbeitskreise ausdrücklich gegen jede Änderung. Ein anderes Reizthema, den Umgang mit Homosexuellen, wollen manche  gleich komplett aus dem für Samstag erwarteten Schlussdokument gestrichen haben. Das aber, so formuliert es die Gruppe “Englisch D” mit ihren 21 Bischöfen aus 20 Nationen, „könnte die Glaubwürdigkeit der Kirche in Westeuropa und Nordamerika beschädigen.“ Auf deutsch: Dann können wir uns nicht mehr blicken lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2015)

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