Kroatien: Urnengang im Zeichen der Dauerkrise

Citizens were puzzled by the size and appearance of the electoral lists 08 11 2015 Croatia Split
Citizens were puzzled by the size and appearance of the electoral lists 08 11 2015 Croatia Split(c) imago/Pixsell (imago stock&people)
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Überschattet von Flüchtlings- und Wirtschaftskrise haben die Kroaten am Sonntag gewählt. Der Koalitionspoker entscheidet über die neue Regierung.

Zagreb/Belgrad. Nicht nur Kroatiens Landesmutter Kolinda Grabar Kitarović drängte es am Sonntag schon in den früheren Morgenstunden an die Urne. Einen unerwartet starken Andrang vermeldeten die heimischen Medien zum Auftakt der Parlamentswahlen aus allen Teilen des Landes: Vorab hatten Analysten wegen der zunehmenden Politikverdrossenheit mit einer eher geringen Wahlbeteiligung beim Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem sozialdemokratischen Premier Zoran Milanović und seinem rechtskonservativen Herausforderer Tomislav Karamarko gerechnet. 3,8 Millionen Kroaten waren wahlberechtigt.

Erste Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe zwar noch nicht vor. Doch klare Mehrheitsverhältnisse waren bei dem Duell zwischen dem von der sozialdemokratischen SDP geführten Mitte-Links-Block Kroatien wächst und der von der konservativen HDZ geführten Patriotischen Koalition wegen der zahlreichen kleineren Parteien, die sich Chancen auf einen Parlamentseinzug ausrechneten, ohnehin nicht erwartet worden. Vermutlich wird der bevorstehende Koalitionspoker in den nächsten Wochen über Kroatiens künftige Regierung entscheiden – der eigentliche Kampf dürfte erst nach dem Wahlabend beginnen.

Verschuldung erreicht Rekordwert

Im Schatten der Flüchtlingskrise und gezeichnet von einer seit 2008 anhaltenden Dauer-Rezession ging die Parlamentswahl über die Bühne. Der scheidenden Mitte-Links-Koalition, die 2011 nach dem Erdrutschsieg gegen die damals von Korruptionsskandalen geschüttelte HDZ auf die Regierungsbank gerutscht war, ist es in der zurückliegenden Legislaturperiode nicht gelungen, den Adria-Staat aus dem Krisental zu führen.

Alle Sparanstrengungen Zagrebs machte die schwächelnde Konjunktur zunichte: Die Staatsverschuldung droht laut EU-Kommission bis 2017 auf den Rekordwert von 93 Prozent zu klettern. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 20 Prozent, die Jugendarbeitslosenrate gilt mit fast 50 Prozent als eine der höchsten in der EU.

Nicht nur die Regierung, sondern auch der aufgeblähte Verwaltungsapparat des Landes zeigte sich zudem auf den EU-Beitritt 2013 nur schlecht vorbereitet: Auch wegen des Mangels an geeigneten Projekten vermochte der EU-Neuling zunächst nur die Hälfte der bereitgestellten Fördermittel auch tatsächlich abzurufen.

Warnung vor einem Rechtsruck

Wegen der Wirtschaftsmisere und den zahllosen Skandalen in den Regierungsreihen schien die Opposition noch vor wenigen Monaten einem sicheren Wahlsieg entgegenzusteuern. Doch nicht nur mit dem unorthodoxen Management der Flüchtlingskrise, bei der Zagreb weder den Anliegen der Nachbarstaaten noch den Mahnungen der EU irgendwelches Gehör schenkte, vermochte Premier Milanović bei seinen Landsleuten zu punkten: Vor allem die stramm rechtsklerikale Ausrichtung der HDZ unter Karamarko erleichterte es ihm, enttäuschte SDP-Stammwähler mit der Warnung vor einem Rechtsruck und dem Rückfall in die bleierne Zeit des Kriegsjahrzehnts der 1990er-Jahre doch noch zu einem Urnengang zu aktivieren.

Die große Zahl neuer Protestparteien zeigt jedoch auch, dass die Geduld der Wähler in dem politisch merklich geteilten Land durchaus begrenzt ist: Die Zeiten, in denen die beiden Großparteien in Kroatiens Endlosmachtkampf zwischen Rechts und Links ganz allein die Karten verteilen konnten, scheinen nun jedenfalls vorläufig vorbei zu sein.

AUF EINEN BLICK

Das jüngste EU-Mitglied Kroatien hat am Sonntag turnusmäßig ein neues Parlament gewählt. Meinungsforscher hatten ein äußerst knappes Rennen zwischen den regierenden Sozialdemokraten (SDP) und der konservativen Oppositionspartei HDZ vorausgesagt. Wer am Ende die neue Regierung bildet, dürften die kleinen Parteien entscheiden. Ihre Zahl ist größer denn je. 3,8 Millionen Bürger waren bei dem Urnengang wahlberechtigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2015)

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