Apotheker-Chef: "Gleicher Preis für ein Aspirin macht Sinn"

Präsident der Apothekerkammer, Max Wellan
Präsident der Apothekerkammer, Max Wellan(c) Fabry
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Apothekerkammer-Präsident Max Wellan erklärt im „Presse“-Interview auch, warum in Drogerien keine rezeptfreien Medikamente verkauft werden dürfen.

Die Presse: Die OECD hat vor Kurzem kritisiert, dass in Österreich das Gesundheitssystem zu teuer ist. Warum gibt es hier keinen freien Markt?

Max Wellan: Der freie Markt eignet sich für das Gesundheitssystem nur zum Teil. Freie Arztwahl, freie Apothekenwahl etc. halten wir für wichtige Kriterien. Allerdings glauben wir, dass Grundwerte wie Versorgung und Gesundheit Regeln brauchen, damit alle Menschen in Österreich diese Leistungen gleichermaßen nutzen können.

Laut einer Wifo-Studie gibt es in Österreich bei rezeptfreien Medikamenten zu wenig Wettbewerb und daher überhöhte Preise. Was sagen Sie dazu?

Es gibt durch die freie Apothekenwahl auch unter den 1360 Apotheken viel Wettbewerb.

Aber der Preis für ein Aspirin ist überall gleich.....

Und das macht Sinn. Es gibt Länder, wo die Preise nicht reguliert sind und in der Grippesaison und bei Lieferengpässen schnellen die Preise aufgrund der hohen Nachfrage in die Höhe. Die Preisbindung sichert, dass in Österreich die Medikamentenpreise im EU-Vergleich niedrig sind. Ein anderes Beispiel ist Benzin. Vor der Ferienzeit gehen die Preise in die Höhe. Das ist freier Markt. Und dann schreit jeder, wir brauchen eine Preiskontrolle.

Wo gibt es dann bei den Apotheken Wettbewerb?

Die Leute wollen einen Qualitätswettbewerb und der spielt sich bei der Beratung und der Leistung ab. Vermeidbare Kosten entstehen in Wahrheit, wenn ein Medikament falsch angewendet wird. Und das können wir mit der Beratung verhindern.

Sind Sie dafür, dass rezeptfreie Medikamente in Drogerien verkauft werden?

Nein. Denn es gab Experimente in osteuropäischen Ländern, die den Markt völlig frei gegeben haben und die jetzt wieder auf unser sicheres System zurückgehen.

Ist Beratung auch bei rezeptfreien Medikamenten wichtig?

Ja. Es gibt Medikamente, die rezeptpflichtig waren und dann rezeptfrei wurden, weil gesichert ist, dass es in der Apotheke eine Beratung gibt. Bei jedem fünften Schmerzmittel kann etwas auftreten – entweder ist es für den Magen nicht verträglich oder es ist für Kinder nicht geeignet. Das Entscheidende ist nicht der Preis eines einzelnen Produkts, sondern die Folgekosten bei einer falschen Anwendung.

In der Schweiz dürfen auch viele Ärzte Medikamente verkaufen. Was halten Sie davon?

In Österreich sind ärztliche Hausapotheken nur erlaubt, wenn es in der Nähe keine öffentliche Apotheken gibt. Solche ärztlichen Hausapotheken sind Notinstrumente.

Die Ärztekammer will, dass auch Ärzte Medikamente verkaufen dürfen. Wie ist Ihre Meinung?

Die klare Trennung zwischen Arzt und Apotheker ist Standard jedes modernen Gesundheitssystems, auch weil „4 Augen“ mehr sehen als zwei. Wenn ein Arzt am Medikament verdient, könnte er einen Anreiz haben, das zu verschreiben was er auf Lager hat. Zuletzt hat Japan diese Trennung eingeführt. Dort ist der Arzneimittelverbrauch seitdem um 30 Prozent gesunken.

Kommt es oft vor, dass Ärzte bei der Medikation Fehler machen?

Hier geht es nicht um bewusste Fehler. Ein Klassiker sind Doppelverschreibungen. Patienten besuchen oft mehrere Ärzte. Und der Apotheker sieht dann, dass bestimmte Medikamente nicht zusammenpassen. Das passiert fast bei jeder zehnten Verschreibung. Wir rufen dann die betroffenen Ärzte an und finden für den Patienten eine Lösung.

In Österreich sind Apothekenketten verboten. Halten Sie das für sinnvoll?

Ja. In Schweden wurden Ketten erlaubt. Die haben ihre Standorte nur an Einkaufsplätzen errichtet. Die Versorgung am Land war ihnen völlig egal. Auch muss man berücksichtigen, dass Ketten ihre Steuern meist im Ausland bezahlen und die Wertschöpfung abwandert. In Österreich sind die inhabergeführten Apotheken als Klein- und Mittelbetriebe auch eine sehr wichtige Stärkung der Infrastruktur am Land.

Seit einem halben Jahr dürfen Österreichs Apotheken auch rezeptfreie Medikamente im Internet verkaufen. Doch derzeit machen nur 19 von 1360 Apotheken mit. Warum so wenig?

Die Servicequalität der Apotheken vor Ort ist sehr hoch. In Wien und anderen Städten gibt es eine Notfall-Zustellung, wo rund um die Uhr Medikamente nach Hause geliefert werden. Die Lieferzeit liegt bei rund einer Stunde. Wir arbeiten hier mit einem Taxi-Funkdienst und einem Botendienst zusammen. Es besteht kaum die Notwendigkeit, dass auch Medikamente per Internet bestellt werden müssen. Beim Verkauf von Arzneimittel sind die Beratung entscheidend und das Wissen, wie ich das Medikament anwenden soll. Den Post-Mitarbeiter kann ich hier nicht fragen. Auch zeigt leider die Erfahrung, dass im Internet viele Fälschungen unterwegs sind.

Warum können deutsche Internet-Apotheken rezeptfreie Medikamente um bis zu 40 Prozent günstiger nach Österreich liefern?

Das sind Lockangebote, die sich auf einzelne Präparate beziehen und den Kunden meist dazu verleiten, mehr zu kaufen als gebraucht wird. Nicht zu vergessen die Versandspesen, die die Präparate für die Kunden wieder verteuern.

Internet-Apotheken bieten Beratung am Telefon an. Ist das zu wenig?

Ich kann aus meiner eignen Erfahrung als Apotheker sagen. Die persönliche Beratung zählt mehr, weil ich den Kunden vor mir sehe. Vor Kurzem hat mir eine Kollegin vom Nachtdienst erzählt, dass ein Kunde ein Medikament gegen Magenschmerzen haben wollte. Sie hat den Kunden angesehen und ins Krankenhaus geschickt. Dort hat man festgestellt, dass die Magenschmerzen ein Anzeichen für einen Herzinfarkt waren und der Rat der Apothekerin somit lebensrettend war.

Stichwort: Gesundheitsreform. Was können die Apotheken dazu beitragen?

Die größten Einsparungen gibt es bei der sogenannten Polymedikation. Ältere Leute haben oft sehr viele Medikamente. Und da fallen die Probleme an. Wenn man die Medikamente hier optimal miteinander abstimmt, eine größere Therapietreue erreicht und Folgekosten minimiert, können in Österreich laut einer Studie von IMS Health pro Jahr über eine Milliarde Euro eingespart werden.

Wie funktioniert das konkret?

Die Zukunftsvision ist, dass sich ein Apotheker jedes halbe Jahr mit dem Kunden zusammensetzt und alle Medikamente durchgeht. Das ist für Menschen sinnvoll, die mehr als fünf Arzneimittel nehmen. Hier haben wir bereits Pilotprojekte in Wien. Das intensive Beratungsgespräch dauert etwa einen Stunde und hat einen Wert von 120 Euro. Wir wollen, dass dies die Krankenkasse zahlt. In Deutschland und in der Schweiz ist das schon der Fall. In fünf bis zehn Jahren soll das flächendeckend in Österreich angeboten werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)

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