Wer lenkt die Kommunikation in den Kinderzimmern? Wer hört dort künftig zu? Und was geschieht mit den aufgezeichneten Daten?
Seit das US-Unternehmen Mattel 1959 Barbie in die Welt gesetzt hatte, entzückte dieses künstliche Wesen Generationen von Kindern, rief aber auch Proteste bei Erwachsenen hervor. Zur Hochzeit der Emanzipation wurde kritisiert, dass dieses langbeinige, vollbusige Geschöpf auf keinen Fall als Vorbild für Frauen dienen könne, zu unrealistisch seien die Maße der Puppe. Ursprünglich waren es, auf eine erwachsene Frau umgerechnet, anatomisch kaum fassbare 99-46-84 Zentimeter. Solch ein für funktionierende Innereien und intakte Wirbelsäulen unmöglicher Leib ist wahrscheinlich ziemlich verschwitzten Männerfantasien entsprungen.
Das hat den Verkaufserfolg nicht geschmälert. Inzwischen ist Barbie als ewig junge Großmutter Oberhaupt eines ganzen Puppenklans. Neben Ken und Freundin Midge bevölkert eine Schar Schwestern, Cousinen und Freunden diese Modellwelt aus Plastik. Auch Barbie ging mit der Zeit, sie ist zum Mittelpunkt einer richtigen Patchworkfamilie gereift.
Und soeben lernt sie kommunizieren. Geht es nach ihren Erfindern, wird „Hello Barbie“ dieses Jahr in den USA der Renner im Weihnachtsgeschäft. Die angekündigte Puppe soll sprechen können. Das tat zwar bereits eine Version von ihr 1968, wenn man an einer Schnur zog – Barbie beherrschte damals acht kurze Phrasen, darunter den elementaren Satz: „Ich will ein neues Kleid!“ Bald aber kann sie sich tatsächlich mit ihrem Gegenüber ausführlich unterhalten. „Hello Barbie“ besitzt erstaunlich viel künstliche Intelligenz, auch wenn sie noch nicht den Turing-Test bestehen wird. (Der britische Computerpionier Alan Turing träumte 1950, Jahre vor Barbies erstem Auftritt, von einer Wundermaschine, die menschliche Gesprächspartner glauben machte, sie sprächen mit ihresgleichen. Sein Test sollte feststellen helfen, ob Computer ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen haben könnten.)
In Kinderzimmern wird es also nach ersten Sprachversuchen von IT-Riesen wie Apple oder Microsoft demnächst auch von Computern mitgestaltete Unterhaltungen mit Puppen geben. Bisher sorgten sich Eltern darüber, welche TV-Programme, Videospiele oder soziale Medien ihr Nachwuchs konsumierte. Bald werden sie sich fragen, wer die Gespräche in der Puppenstube lenkt. Die nächste Barbie-Generation kann nicht nur plappern. Per Mikrofon, WLAN und Cloud hört sie auch genau zu, wie das längst bei Smartphones sowie „intelligenten“ TV-Geräten und Computern Standard ist. Die sehen angeblich sogar, was in unseren Wohnungen vor sich geht.
Solch eine Puppe (sie soll bereits tausende Sätze beherrschen) muss der Traum von Geheimdiensten und Marketingmanagern sein. Theoretisch können jene, die die Cloud beherrschen, genau verfolgen, was die Kinder bewegt. Diktaturen haben sich stets gern der Kleinen bedient, um herauszufinden, was deren Eltern wirklich denken. George Orwell würde sagen: „Big Barbie is watching you!“
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)