Wächterin, arbeitslos

Stofftier
Stofftier(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Es hat bestimmt mit der kalten Jahreszeit zu tun (irgendwann muss dieser anachronistische Frühling doch aufhören!) und damit, dass sich viele Tiere in den Winterschlaf begeben, dass das Kind gerade jetzt wieder zum Höhlenbauer wird.

Es hat bestimmt mit der kalten Jahreszeit zu tun (irgendwann muss dieser anachronistische Frühling doch aufhören!) und damit, dass sich viele Tiere in den Winterschlaf begeben, dass das Kind gerade jetzt wieder zum Höhlenbauer wird. Monatelang hatten wir daheim Ruhe von den Leintüchern, die das Bett verhängen. Von den Sesseln, die als Fundament für Piratenschatzhöhlen dienen und auf Tage nicht benutzbar sind.

Jetzt ist wieder alles so verstellt, dass der Weg von der Couch in die Küche zu einem Hindernisparcours wird, weil das Kind dort, wo unter Laken unser Esstisch vermutet werden kann, ein Schloss aus Polstern und Decken hingestellt hat. (Man kann aber mit Ausnahme von Spaghetti Bolognese fast alles von einem kleinen Couchtisch aus essen.) Um ein Eck des Kinderzimmers als Fledermaushöhle abzugrenzen, hat das Kind zudem eine Mauer aus Stofftieren errichtet, die jetzt so hoch ist, dass es nicht mehr ohne Hilfe hinein- und hinauskann. (Und natürlich will es laufend hinein und hinaus, sprich Mutter am besten Weg zu Rückenbeschwerden). Und wehe, die Mauer fällt um! Da kann es passieren, dass man als „Wächterin“ (Erwachsene dürfen eher undankbare Nebenrollen übernehmen) entlassen wird, besonders dann, wenn man mit der Gewerkschaft droht. („Dann bist du jetzt gleich gefeuert.“)

Neben dem Höhlenbauen ist dem Kind seine Vorliebe für Ratespiele wieder eingefallen. Wir stellen also pantomimisch Gegenstände dar. Während man sich als Erwachsener bemüht, möglichst authentisch etwa einen Tisch nachzumachen, wählt das Kind zunächst für sämtliche von ihm dargestellten Dinge eine einzige Position: Es steht kerzengerade da und hält die Hände über den Kopf. Das kann dann vieles sein vom Buchstaben I bis zu einem Heißluftballon. Später zeichnet es Linien in die Luft. Eine Schachtel? Eine Pyramide? Nein, sagt das Kind, alles falsch. Ein Zauberhut, der hexen kann. Naja, sage ich, es müssen schon Dinge sein, die es wirklich gibt. Das gibt es ja auch, sagt das Kind trotzig, will in seine Höhle gehoben werden und schickt die Wächterin hinaus.

Ich glaube, ich bin gefeuert.

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.