Routine und Aufbegehren

Musikverein. Das Lucerne Festival Orchester interpretierte Mozart zu konventionell und überzeugte auch mit Mahler nur zum Teil.

Andris Nelsons ein Mahler- und Schostakowitsch-Spezialist? Mit dem Boston Symphony Orchestra, dessen Musikdirektor er seit 2014 ist, ist er dabei, sämtliche Schostakowitsch-Symphonien aufzunehmen. Und mit Mahler-Symphonien gastierte er sowohl bei den Salzburger Festspielen wie nun auch im Musikverein. Wenn er im Jänner hier ein „Philharmonisches“ dirigiert, hat der von Mariss Jansons protegierte Lette, der jüngst zum Leipziger Gewandhauskapellmeister designiert wurde, freilich anderes im Gepäck: je eine Symphonie von Haydn und Beethoven sowie eine Novität von Iván Eröd, was sein vielseitiges Interesse dokumentiert.

Mit Wiener Klassik begann Nelsons auch seinen Auftritt im Goldenen Saal, und zwar mit Mozarts Linzer Symphonie KV 425. Keine glückliche Wahl, wie sich herausstellte. Waren die Musiker noch nicht warmgespielt, wollte sich Nelsons für die Mahler-Herausforderung nach der Pause schonen? Jedenfalls gelang kaum mehr denn eine konventionelle, wenn auch meisterhaft exakte Darstellung. Zu wenig, um den Charme des Werkes, seine Mischung aus „rauschender Fröhlichkeit und schwärmerischer Kantabilität“, wie es der Mozart-Kenner Bernhard Paumgartner formulierte, deutlich zu machen.

Wie verwandelt präsentierte sich das Orchester nach der Pause: mit Biss, einer weiten dynamischen Palette, ideal aufeinander abgestimmten Tempi, sehr überlegt gestalteten Übergängen, fantasievoller Phrasierung und meist auch prägnanter Artikulation – wenigstens in den beiden ersten, hier eine Sonatensatzeinheit bildenden Sätzen von Mahlers cis-Moll-Symphonie. Da wurde alles einem Bogen untergeordnet, wurden die Atmosphären des Trauermarsches und des vehement dahinstürzenden Folgeabschnitts ideal getroffen, auch wenn die eine oder andere Kantilene bis an die Grenzen des Geschmäcklerischen ausgekostet wurde.

Wenig Streicherglanz

Ob man für diese erste der beiden Symphonie-Abteilungen zu viel an Intensität und Kraft investiert hatte, und zwar Dirigent wie Orchester? Denn in den folgenden Sätzen vermisste man diesen Facettenreichtum. Zu sehr in Einzelheiten zerklüftet erstand das insgesamt etwas beiläufig wirkende Scherzo. Etwas unpersönlich und mit wenig Streicherglanz erklang das betont unsentimental genommene Adagietto. Und trotz mancher gewaltiger Steigerungen im mitunter sehr durchsichtig musizierten Rondo-Finale: Ganz wollte sich die packende Verve des Symphoniebeginns nicht mehr einstellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)

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