Eine Madame ohne Pardon und Nuancen

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FRANCE-VOTE-REGIONALES-NORD-FNAPA/AFP/PHILIPPE HUGUEN
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Für Marine Le Pen, die Parteichefin des rechtspopulistischen Front National, sind die heutigen Regionalwahlen in Frankreich nur eine weitere Etappe auf dem Weg zu den Präsidentschaftswahlen 2017 und an die Spitze des Landes.

Die Zukunft wird in Marineblau geschrieben“ prangt auf dem Rednerpult der Kundgebung für die Regionalwahlen. Dahinter steht mit triumphierend in den Himmel gestreckten Armen Marine Le Pen. Sie liebt Wortspiele mit ihrem Vornamen, und darum ist Marineblau ihre Lieblingsfarbe. Für ihre Fans hat sie neben ihrer Partei, dem Front National (FN), ein „Rassemblement Bleu Marine“ gegründet.

Denn die Tochter des Parteigründers, Jean-Marie Le Pen, hat Zulauf. Das Klima der Angst nach den Terroranschlägen von Paris macht die Leute hellhörig für ihre dramatisch klingenden Warnungen vor der Invasion der Islamisten, die Frankreich in Beschlag nehmen und ihre Scharia zum Gesetz erklären wollen. Sie ist nicht im Wahlkampf für die heutigen Regionalwahlen, sie mobilisiert für einen Kreuzzug. Ihr Vorbild ist nicht zufällig die Nationalheilige Jeanne d'Arc, die Jungfrau von Orléans, deren Tod auf dem Scheiterhaufen der FN jedes Jahr am 1. Mai mit einem Aufmarsch in Paris gedenkt.

Im Kampf gegen den Feind in diesem Religionskrieg gibt es für sie kein Pardon und nicht viele Nuancen. „Wir haben keine andere Wahl, als diesen Krieg zu gewinnen: Wenn wir verlieren, ergreift der islamistische Totalitarismus die Macht in unserem Land, wie er das bereits in Libyen dank der Beihilfe von Nicolas Sarkozy vollbracht hat und nun auch in Syrien, Ägypten und Tunesien durchzusetzen versucht.“ Sie malt das Bild einer schwarzen Zukunft. „Die Scharia wird unsere Verfassung ersetzen und der radikale Islam unsere Gesetze, die Burka wird für alle Frauen obligatorisch, unsere Denkmäler werden zerstört, die Musik verboten.“ Sie trägt in ihrer Schreckensvision dick auf. Dabei hätte sie das gar nicht nötig, der Beifall ist ihr gewiss.

Ein Blick in den vollen Zuschauersaal in Nîmes zeigt, dass der FN längst nicht mehr nur rechtsextreme Aktivisten und Nostalgiker der Algérie française anzieht, sondern ein Publikum aus allen Generationen und Gesellschaftsschichten – außer aus jenen der Immigration. Auffallend ist die Zahl der Jungen und der Frauen. Marine Le Pen ist mit ihrem ideologischen Background und Programm alles andere als eine Feministin, doch gerade für viele Französinnen aus bescheidenen Verhältnissen ist die ehrgeizige Millionärstochter ein Vorbild und Idol geworden.

Aus der Kleidung, die sie für solche Auftritte wählt, kann man sogar schließen, dass sie ihren Look sorgfältig diesen Sympathisantinnen anpasst. Auch in Nîmes ist sie nicht in einem schicken zweiteiligen Kostüm von Chanel erschienen, sondern mit Unauffälligem von der Stange. Diese sicht- und hörbare Abgrenzung vom eleganten Tout-Paris ist ihre effizienteste Wahlstrategie.

Auch wenn sie samstags in ihrer nordfranzösischen Hochburg Hénin-Beaumont an der Seite des FN-Bürgermeisters Steeve Briois ihre Runde auf dem Markt macht, gibt sie sich in dieser unprätentiösen Art volksnah. Und wenn sie spricht, mit ihrer vom früheren Rauchen noch heiseren und fast ständig zornig tönenden Stimme, bleibt sie ebenfalls so direkt wie möglich. Je aggressiver und maßloser sie klingt, desto mehr haben ihre Zuhörer mit Genugtuung den Eindruck: „Endlich sagt das jemand!“

Von den geschliffenen Notabeln der anderen Parteien mit ihren Versprechen haben ihre Wähler längst genug, im FN sehen sie den einzigen Ausweg. Le Pens Erfolg basiert nicht auf Argumenten, sondern auf starken Gefühlen der Wut, Angst, Frustration und Rachsucht. Diese Ressentiments sind die Dynamik von Marine Le Pen.

Das Programm ist Nebensache. Bei genauerer Betrachtung ist es eine kuriose Mischung aus nostalgischer Berufung auf vergangene Größe und christlich-abendländische Identität und nationalistisch eingefärbten Anleihen aus einem sozialistischen Wohlfahrtsstaat. Sie selbst behauptet, sie stehe „weder links noch rechts“. Für die Anhänger zählt, dass sie in diesem ideologischen Selbstbedienungsladen finden, was die anderen nicht anbieten.

Le Pens Thema ist die tödliche Bedrohung durch die Einwanderung, den Flüchtlingsstrom, die Terroristen und den Islam sowie die totale Unfähigkeit oder der Verrat der Regierung und der bürgerlichen Opposition. Sie malt alles so grell aus wie einst ihr Vater, von dem sie das Talent als Rednerin geerbt hat. Wie zielstrebig sie die Partei seit 2011 ihren Interessen anpasst, bewies sie, indem sie den Parteigründer wegen seiner heute deplatzierten antisemitischen Bemerkungen in der Partei kaltstellte.

Im Unterschied zu ihm ist die Provokation für sie kein Selbstzweck, weil sie wirklich an die Macht gelangen will. Sie ist nicht weniger radikal oder extrem, sondern nur taktisch effizienter. Am Montag kann sie sich aller Voraussicht nach mit Madame la Présidente anreden lassen. Es wäre zwar vorerst nur die Präsidentschaft der großen nordfranzösischen Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie, für sie aber bereits die letzte Stufe vor dem Griff nach der Staatspräsidentschaft 2017.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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