Täglich sackt der Ölpreis weiter ab und liegt nun so tief wie 2008. Allmählich sollte der Boden erreicht sein, so das Gros der Analysten. Nur Goldman Sachs sagt weitere minus 45 Prozent voraus.
Wien. Es ist, als ob es keine Schranken mehr gebe. Keine Stütze, keinen Halt. Auch gestern setzte sich die Talfahrt des Ölpreises fort, nachdem das schwarze Gold allein in der Vorwoche um fast elf Prozent abgesackt war. Die wichtige US-Sorte WTI ist am Montag in New York erstmals seit Februar 2009 im Tagesverlauf unter 35 Dollar pro Fass gefallen. Die teurere und für Europa relevante Nordseesorte Brent markierte mit 37,27 Dollar ein frisches Siebenjahrestief. Mitte 2014 waren beide noch über der 100-Dollar-Marke gelegen.
Es ist der Kampf der Förderländer um Marktanteile, der den Preis nach unten jagt. Der Prozess hat bereits im Juni 2014 begonnen, als sich Saudiarabien und mit ihm der Rest der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) gegen eine Produktionsdrosselung entschieden und die Strategie festgelegt haben, sich mittels Flutung der Märkte Marktanteile gegen die zunehmende US-Konkurrenz zu sichern. Auf dem Opec-Kartelltreffen am 4. Dezember in Wien wurde die Strategie bekräftigt und trotz des weltweiten Überangebots keine Produktionsobergrenze festgelegt.
Die Opec ist freilich nicht die alleinige Zerstörerin des Preises. Auch der Iran beeinflusst die Notierungen, weil er bereits vor der erwarteten Aufhebung der Sanktionen seine Ölexporte im Dezember auf ein Halbjahreshoch gehievt hat. Russland wiederum, führender Exporteur, lehnt eine Kürzung der Förderung ab, weil Ölquellen – klimabedingt – nach einer Unterbrechung nur schwer wieder in Betrieb genommen werden können. Auf den Preis drückt schließlich auch, dass China wegen der Konjunkturabkühlung weniger Öl nachfragt und auch die globale Nachfrage konjunkturell bedingt nur langsam wachse.
Divergierende Prognosen
Es gebe viele Argumente, darunter die preislich und daher investitionsbedingt rückläufige US-Schieferölproduktion, die für eine baldige Preiserholung sprechen, meinen die Experten der Commerzbank. Die Mehrheit der Experten teilt diese Ansicht. Im Schnitt sehen die von Reuters befragte Analysten den Brent-Preis im kommenden Jahr bei 57,90 Dollar und WTI bei 52,80 Dollar.
Dennoch dürfte der Preiskampf vorerst weitergehen, haben doch die Golfstaaten und Russland jüngst bekräftigt, auch bei einem Preis von 20 Dollar je Barrel ihre Produktion nicht zurückfahren zu wollen. Im Unterschied zu den meisten Analysten glaubt Goldman Sachs daher, dass dieser niedrige Preis (für WTI), der einer Abwertung um weitere 45 Prozent gleichkommen würde, 2016 tatsächlich zu erwarten sei. „Bei einem milden Winter, einem langsameren Wachstum in den Schwellenländern und der potenziellen Aufhebung der Iran-Sanktionen könnten die Lagerbestände weiter steigen“, warnen sie. Goldman liegt bei seinen Prognosen häufig richtig und ist ein großer Player im Handel mit dem schwarzen Gold.
Billige Spritkosten
Den Rohstoffkonzernen macht der Preisverfall jedenfalls schwer zu schaffen. Allein der Börsenwert der Ölförderer schrumpfte binnen eineinhalb Jahren um insgesamt mehr als eine Billion Dollar. Das entspricht etwa der aktuellen Marktkapitalisierung der 30 DAX-Werte.
Die rückläufigen Energiepreise dämpfen außerdem die Inflation. Andererseits würden sie aber auch wie ein Konjunkturprogramm wirken, weil den Unternehmen mehr Spielraum für Investitionen und den Verbrauchern mehr Geld für Konsum bliebe, so Elga Bartsch, Chefvolkswirtin von Morgan Stanley. In Österreich ersparen sich die Autofahrer heuer rund eine Mrd. Euro an Spritkosten, wie der Fachverband der Mineralölindustrie auf APA-Anfrage errechnete. (ag./est)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2015)