Die „Weihnachtsfeinde“: Juden, Muslime und der Papst

Über die antisemitischen Wurzeln des „Krieg gegen Weihnachten“-Geredes. Und warum Franziskus das Fest heuer als Scharade verurteilt.

Die Behauptung, Weihnachten sei bedroht, hat seit Jahren genauso Tradition wie Weihnachten selbst. Heuer hat etwa in den USA der Kaffeehauskonzern Starbucks den Anlass dafür geliefert, weil er im Advent nur rote Becher mit dem Starbucks-Logo anstatt wie früher Weihnachtssymbole wie Sterne oder Tannenbaum verwendet. Oder die Schokoladefirma Lindt, weil die orientalische Optik ihres Adventkalenders an eine Moschee erinnern kann. Die Hauptgegner öffentlicher Weihnachtssymbole in den USA sind nicht so sehr Andersgläubige als vielmehr geharnischte Atheisten. Ihnen stehen ebenso geharnischte christliche Kulturkämpfer gegenüber; und vor allem zwischen diesen Eiferern spielt sich jährlich das zum „War on Christmas“ hochstilisierte Geplänkel ab.

Italien hatte kürzlich seinen eigenen angeblichen „guerra per il natale“: Da ein Schuldirektor im kleinen Ort Rozzano nahe Mailand statt eines Weihnachtskonzerts ein Winterkonzert im Jänner veranstalten wollte, starteten christliche Gruppen und Politiker der Lega Nord ein Getöse aus Verzerrungen und Halbwahrheiten, das sogar in großen britischen und US-Zeitungen widerhallte und Minister Matteo Renzi mit einem proweihnachtlichen Statement reagieren ließ. Obwohl die Entscheidung des Direktors viel früher gefallen war, wurde sie als Angstreaktion auf die Paris-Attentate dargestellt, als Kniefall vor „den Muslimen“.

Schon vor hundert Jahren malten manche den „Krieg um Weihnachten“ an die Wand. Allerdings hat sich der „Feind“ interessanterweise gewandelt. Sind es heute Muslime, waren es damals angeblich „die Juden“. So liest man etwa in der Artikelserie „The International Jew: The World's Foremost Problem“, die der Autohersteller und glühende Antisemit Henry Ford in den 1920ern publizieren ließ, in den USA könne man kaum noch Weihnachtskarten mit christlichen Symbolen darauf finden. Schuld seien die Juden: „Manche fragen, wie drei Millionen Juden die Angelegenheiten von 100 Millionen Amerikanern kontrollieren können. So, wie zehn jüdische Studenten die Erwähnung von Weihnachten und Ostern in Schulen mit 3000 Schülern verbieten können.“

Auch wenn das Pingpongspiel der Eiferer es zu verdecken sucht – immer mehr Muslime in europäischen Ländern feiern Weihnachten mit, um der Kinder willen, wegen des schönen Flairs. Sie feiern es als kulturelles Fest – also so wie mittlerweile die allermeisten Menschen in Österreich.

Vielleicht haben es die christlichen Streiter im „Krieg um Weihnachten“ noch nicht bemerkt, aber ihr wahrer „Feind“ ist ganz ein anderer. Es ist Papst Franziskus. Er nämlich hat die diesjährigen Weihnachtsfeiern mit Kerzen, Christbäumen, Sternen und Krippenszenen radikal kritisiert. „Wir haben den Weg des Krieges gewählt“, sagte er bei einer Messe im November – einen nicht zu rechtfertigenden „Weltkrieg“, auch wenn dieser Krieg stückchenweise passiere: „Bald ist Weihnachten. Es wird Lichter geben, Feiern, leuchtende Bäume, sogar Krippenszenen, während die Welt weiter Krieg führt. Das ist alles Scharade.“

Dieser Papst ist wahrlich kein guter christlicher Verbündeter im „Krieg um Weihnachten“. Der Kommerz dagegen ein umso besserer: Er macht allen Lust auf die große Weihnachtsscharade. Krippe und Christkind sind heikel, aber auf vieles können sich Christen wie Nichtchristen einigen: leuchtende Kugeln, Tannenbäume, Kerzen, Glitzerzeug oder Kipferln (auch wenn sie angeblich dem türkischen Halbmond nachempfunden sind). Und wie sich in den USA auch Juden öffentlich ärgern, weil kein Christbaum mehr im Stadtzentrum steht, werden wohl auch immer mehr Muslime „ihr“ Weihnachtsfest verteidigen und verlangen, dass man die Kirche im Dorf lässt – und den Christbaum auf dem Dorfplatz.

Emails an: anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2015)

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