Der Krimi 2015: Mord mit Moral

Symbolbild: Ort des Verbrechens.
Symbolbild: Ort des Verbrechens.(c) APA (Georg Hochmuth)
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2015 war ein gutes Jahr für Fans anspruchsvoller Kriminalliteratur abseits des Mainstreams, selten zeigte sich das Genre so vielseitig. Das traf auch auf die heimischen Krimiautoren zu.

Der französische Autor Jean-Patrick Manchette (1942–1995) hat das Krimigenre einmal als „die große moralische Literatur unserer Zeit“ bezeichnet. Das ist nun einige Zeit her, wie sieht die Lage also im Jahr 2015 aus? Kriminalromane wie „Havarie“von der deutschen Autorin Merle Kröger, soeben von der KrimiZeit-Jury zum besten Kriminalroman des Jahres gekürt, und „Die Verbrannten“ von dem Mexikaner Antonio Ortuño untermauern Manchettes These eindrucksvoll. Beide Romane haben auf außergewöhnliche Weise das aktuelle Flüchtlingsthema abgehandelt. Während Kröger in ihrem mosaikhaften Roman die Problematik im Mittelmeer beleuchtet, schildert Ortuño in seinem schonungslosen und verstörenden Buch das Schicksal hunderttausender Zentralamerikaner im Flüchtlings-Transitland Mexiko.

Mexiko ist überhaupt ein Haupttatort des Krimijahres. Nicht nur Don Winslows Epos „Das Kartell“ und zahlreiche andere Spannungsromane widmeten sich facettenreich dem aussichtslosen Krieg gegen die Drogen, zuletzt erschienen auch zwei wichtige Sachbücher zu diesem Thema: Johann Haris „Drogen. Die Geschichte eines langen Krieges“ und „Es reicht. Der Fall Mexiko: Warum wir eine neue globale Drogenpolitik brauchen“ von dem Autorenduo Carmen Boullosa und Mike Wallace.

Selten zuvor war das Krimigenre abseits üblicher Whodunnit-Krimi-Wohlfühl-Rätsel und der einfach nicht umzubringenden Serienmörder-Thriller so vielseitig aufgestellt. Ob historischer Krimi (William Shaws „Kings of London“, Lyndsay Fayes „Die Entführung der Delia Wright“) oder futuristische Spannungsromane (Adam Sternberghs „Feindesland“) – für jeden war etwas dabei, beißende Sozialkritik inklusive. Der Trend zu düsteren dystopischen Spannungsromanen ist zwar im Vergleich zum Jahr davor ein wenig abgeflaut, ein Blick auf die Neuerscheinungen 2016 zeigt aber, dass hier wieder einiges zu erwarten ist. „Operation JFK“ etwa verbindet in einem Zeitreise-Thriller Vergangenheit und Zukunft, mit „Zero One Dewey“ wird zudem Nathan Larsons faszinierende apokalyptische Dewey-Decimal-Trilogie im Polar Verlag zu Ende gehen.

Apropos Polar. Dieser auf außergewöhnliche Kriminalliteratur spezialisierte Kleinverlag ist zweifellos der Aufsteiger des Jahres. Hier glückt der Spagat, einerseits junge Autoren abseits des Mainstreams für das deutschsprachige Publikum zu entdecken und andererseits vergessene Krimiklassiker (Newton Thornburgs „Cutter und Bone“) wiederauferstehen zu lassen. Überhaupt scheint die lange nicht selbstverständliche Pflege von Krimiklassikern besonders den ambitionierten Klein- und Kleinstverlagen ein echtes Anliegen zu sein. Antje Kunstmann hat nach der Neuauflage von George V. Higgins nun auch den (Anfang Dezember verstorbenen) schwer unterschätzten schottischen Krimi-Philosophen William McIlvanney auf den Markt gebracht. Pendragon und Pulp Master zeigen ebenfalls, dass es sich lohnen kann, nicht nur auf ausgetretene Lesepfade zu setzen.

Made in Austria. 2015 bewies zudem, dass man bedenkenlos zu österreichischen Krimiautoren greifen kann. Auch hier überrascht die Vielseitigkeit. Längst gibt es nicht mehr nur humorige Krimis, bei denen die Handlung nebensächlich ist. Zu Jahresbeginn nahm nach mehreren Dienstjahrzehnten Andreas Pittlers Inspektor Bronstein Abschied, ehe Bernhard Aichner den zweiten Teil seiner „Totenfrau“-Trilogie vorlegte und Clementine Skorpil mit „Guter Mohn, du schenkst mir Träume“ das Shanghai der 1920er-Jahre auferstehen ließ.

Mit dem neuen Metzger-Roman von Thomas Raab, dem Ende der Blum-Trilogie von Aichner sowie dem neuen Roman von „Blackout“-Autor Marc Elsberg kündigen sich auch im kommenden Jahr heimische Crime-Highlights an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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