Teil-Krankenstand muss für beide Seiten attraktiv sein

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Arbeitgeber und Arbeitnehmer können von Zwischenstadien zwischen krank- und gesundgeschrieben profitieren.

Wien. „2016 kommt der Teil-Krankenstand“, verkündete kürzlich „Die Presse“. Eine vollmundige Ankündigung, könnte man meinen, da über dieses Thema bereits mehr als ein Jahr ergebnislos diskutiert wird. Warum so spät, könnte man hingegen fragen, wenn man auf die klare Interessenlage und die erfolgreichen Vorbilder aus dem Ausland blickt.

Eine Änderung des Status quo wird nur mit Zustimmung beider Seiten möglich sein. Es braucht also eine Konstruktion mit Vorteilen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Interessen liegen dabei auf der Hand.

Vor allem Dauerkrankenstände sind für Arbeitgeber eine große Belastung. Firmeninterne Mehrbelastungen und Nachschulungsbedarf machen es verständlich, dass sich diese eine rasche Rückkehr der Arbeitnehmer wünschen. Gleichzeitig zahlt niemand gern für Arbeit, die nicht erbracht wird.

Der Wunsch, zurückzukehren

Arbeitnehmer wollen sich auskurieren können. Je länger aber ein Krankenstand dauert, desto größer ist oft auch der Wunsch, sukzessive wieder in den Job zurückzukehren – damit man im Beruf den Anschluss nicht verliert und damit einem zu Hause die Decke nicht auf den Kopf fällt. Trotzdem muss eine frühe Rückkehr auch finanziell honoriert werden. Auf internationalen Erfahrungen basierend bieten sich folgende Eckpunkte einer Regelung an:

► Eine Teil-Krankschreibung erfolgt zu 25, 50 oder 75 Prozent. Diese grobe Einteilung hat sich in Schweden als ausreichend erwiesen und reduziert die Komplexität für Ärzte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Wert kann dem Heilungsverlauf angepasst werden.

► Arbeitnehmer haben ein durchsetzbares Recht auf Teilaufnahme der Arbeit gegenüber ihrem Arbeitgeber. In bestimmten Ausnahmefällen (z. B. Unmöglichkeit der Integration in Arbeitsabläufe) könnte sich der Arbeitgeber allenfalls an die Schlichtungsstelle beim Arbeits- und Sozialgericht wenden.

► Bis zum Ende der vollen Entgeltfortzahlung (in der Regel also sechs Wochen lang) erfolgt eine Teil-Krankschreibung nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber kann die freiwillige Arbeit (im Ausmaß der Gesundschreibung) zusätzlich abgelten.

► Ist ein Arbeitnehmer nach Ende der Entgeltfortzahlungspflicht teilweise gesundgeschrieben, erhält er ein anteiliges Gehalt von seinem Arbeitgeber und ergänzend Krankengeld: Wer also zu 25 % arbeiten kann, erhält 25 % seines Gehalts vom Arbeitgeber, 75 % des Krankengeldes von der Sozialversicherung.

► Wie bei jeder Teilzeitarbeit müssen die Lage der Arbeitszeit und gravierende Änderungen der Arbeitsaufgaben einvernehmlich fixiert werden.

► Auch beim Urlaubsanspruch muss sich nichts ändern: Wie im Krankenstand erwerben Arbeitnehmer auch im Teil-Krankenstand einen ungekürzten Urlaubsanspruch.

► Die Ärzte müssen wie bisher bei der Einschätzung, ob jemand arbeitsfähig ist, die jeweiligen Arbeitsumstände mitbedenken: Eine gebrochene Zehe macht einen Fernfahrer arbeitsuntauglich, aber nicht jeden Büroarbeiter. Gerade bei Langzeiterkrankungen, an deren Ende ein Teil-Krankenstand eine sukzessive Rückkehr in den Beruf ermöglicht, gibt es ein intensives Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten, das eine profunde Einschätzung ermöglicht.

Natürlich wird man noch viele Details klären müssen. Vielleicht wird man später in einzelnen Punkten nachbessern müssen. Aber nach über einem Jahr Diskussion wäre es an der Zeit, ein klares Bekenntnis abzulegen und zumindest die Eckpunkte außer Streit zu stellen.

Zur Autorin

Rechtsanwältin Simone Liebmann-Slatin, MSc, ist Senior Counsel bei der internationalen Anwaltskanzlei Baker & McKenzie in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2015)

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