"Mein Kampf": Die zweite Karriere eines bösen Buchs

The title page of Adolf Hitler´s book ´Mein Kampf´ is pictured in Berlin
The title page of Adolf Hitler´s book ´Mein Kampf´ is pictured in Berlin(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Mit dem Jahreswechsel erloschen die Urheberrechte an Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Nach 70 Jahren stellt sich nun die Frage: Wie soll man mit dem Buch umgehen?

In der beliebten New Yorker Buchhandlung Strand gibt es einen Tisch für Bücher, die irgendwo auf der Welt verboten sind. „Banned Books“ steht verheißungsvoll auf einem Schild, darunter liegt, zwischen Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ und James Joyces „Ulysses“ ein Buch, dessen Anblick inmitten von Literaturklassikern Leser aus dem deutschsprachigen Raum leicht verstören könnte.

Dabei ist Hitlers „Mein Kampf“ gar kein verbotenes Buch, auch in Österreich nicht: Man darf es besitzen, Bibliotheken dürfen es verleihen, in Antiquariaten ist es erhältlich. Nur der Nachdruck war bis jetzt nicht erlaubt – weil das Urheberrecht des deutschen Textes beim Freistaat Bayern lag, der jede Neuauflage unterband. Mit dem Jahreswechsel – 70 Jahre sind seit Hitlers Tod vergangen – ist das Urheberrecht nun erloschen. Theoretisch kann jetzt jeder die nationalsozialistische Propagandaschrift nachdrucken, praktisch würde eine (unkommentierte) Veröffentlichung wohl gegen das Verbotsgesetz verstoßen, das jede Verherrlichung der NS-Zeit untersagt.

Kommentare gegen den Mythos

Dass Verlage planen könnten, Hitlers Text in Reinform wieder zu drucken, ist bisher nicht bekannt. In kommentierter Form soll die Schrift aber schon am 8. Jänner in die Regale kommen: Das renommierte Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) gibt eine „kritische Edition“ des umstrittenen Buches heraus. 2000 Seiten (auf zwei Bände verteilt) umfasst das Werk, an dem Historiker gemeinsam mit Germanisten, Biologen und anderen Experten drei Jahre lang gearbeitet haben. Der Originaltext wurde um über 3500 Kommentare ergänzt, die Hitlers Worte erklären, korrigieren und in einen historischen Kontext stellen. Die Herausgeber wollen „Mein Kampf“, das in Neonazi-Kreisen Symbolwert genießt, anderswo mit Tabus behaftet ist, „entmystifizieren“ und Hitlers Thesen auseinandernehmen: „Was lässt sich mit dem Stand unseres heutigen Wissens Hitlers unzähligen Behauptungen, Lügen und Absichtserklärungen entgegensetzen?“, heißt es auf der Website des IfZ.

Profitieren wollen von der Neuauflage weder Herausgeber noch Händler: Das IfZ gibt das Werk zum „Selbstkostenpreis“ von 59 Euro ab. Die Handelskette Thalia will das Buch nur „auf expliziten Kundenwunsch“ bestellen, Morawa spendet alle Erlöse dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Auch Amazon will mit dem Verkauf gemeinnützige Zwecke unterstützen.

Hitler selbst wurde durch das Buch einst reich. Er schrieb den ersten Teil („Eine Abrechnung“) 1924 während seiner Haft in Landsberg am Lech, den zweiten („Die nationalsozialistische Bewegung“) 1926 nach seiner Entlassung. Über zwölf Millionen Exemplare wurden gedruckt, ab 1936 wurde „Mein Kampf“ frisch verheirateten Paaren vom Standesamt überreicht. Der Versuch des Eher-Verlags, das Werk auch in den Lehrplänen zu verankern, scheiterte aber.

Geht es nach dem deutschen Lehrerverband, soll die Hetzschrift nun auch im Unterricht gelesen werden – jedenfalls die kommentierte Neuausgabe davon. Auch die deutsche Bildungsministerin empfiehlt das. „Damit wird der Schriftsteller Hitler [...] einen kanonischen Status erlangen, der ihm versagt blieb, als die Schulen Organe eines auf seinen Willen eingeschworenen Staates waren“, kommentiert die „FAZ“ die Berichte.

Futter für die Rechten?

Die Zeitung bemerkt auch, die Verfasser der kommentierten Ausgabe hätten sich „von einer Maxime leiten lassen, die man eher aus Wahlkampfkampagnen kennt: Nichts soll unwidersprochen stehen bleiben.“ Und: „Der Text wird weiter als Gift behandelt. Dem Kommentar traut man die Kraft eines sofort wirksamen Gegenzaubers zu.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ erwartet sich einen Erkenntnisgewinn „durch die Offenlegung der Quellen Hitlers, jener Schriften und ,Denker‘, bei denen er sich bediente: Antisemiten, Rassehygieniker, Weltanschauungsverkäufer, Wirrköpfe.“

Könnte „Mein Kampf“ Menschen zu rechten Gesinnungen treiben? Die Politologin Barbara Zehnpfennig verneint das in einem Interview mit der „Wiener Zeitung“: „Sich über dieses Buch zu radikalisieren, würde einiges an Durchhaltewillen erfordern.“ Es sei stilistisch schlecht, lang und zum Teil unverständlich für Leser ohne historische Vorkenntnisse.

Anderswo auf der Welt war das Buch schon bisher erhältlich. Auf der amerikanischen Amazon-Seite sind zahlreiche Übersetzungen gelistet – und erfreuen sich hervorragender Kundenbewertungen . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2016)

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