Türkei: Erdoğan nach Hitler-Vergleich in der Defensive

Recep Tayyip Erdoğan.
Recep Tayyip Erdoğan.(c) APA/AFP/ADEM ALTAN
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Die Kritiker des Staatschefs sehen sich in ihren Befürchtungen über diktatorische Anwandlungen bestätigt und warnen vor der Einführung eines Präsidialsystems. Umfragen zeigen: Eine Mehrheit lehnt Erdoğans Pläne ab.

Istanbul. Für Recep Tayyip Erdoğan hat das neue Jahr mit einem peinlichen Ausrutscher begonnen. Ausgerechnet bei seinem lang gehegten Plan zur Einführung eines Präsidialsystems mit ihm selbst an der Spitze hat sich der türkische Staatschef mit einem Hitler-Vergleich gleich zu Jahresbeginn selbst in die Defensive gebracht. Kritiker Erdoğans sehen sich in ihren Warnungen vor autokratischen Tendenzen des Staatschefs bestätigt.

Erdoğans umstrittene Äußerung fiel bei einer Pressekonferenz nach seiner Rückkehr von einem Besuch in Saudiarabien. In der Antwort auf eine Frage nach der Machbarkeit eines Präsidialsystems in einem zentralistisch organisierten Land wie der Türkei sagte Erdoğan, dafür gebe es Beispiele aus Gegenwart und Vergangenheit. „Schauen Sie sich Hitler-Deutschland an, dann sehen Sie es.“

Damit habe Erdoğan die Türken wissen lassen, welches Modell er für Ankara im Sinn habe, kritisierte der Oppositionspolitiker Oktay Vural. Der Kolumnist Ergun Babahan schrieb in der Zeitung „Özgür Düşünce“, Erdoğans Pläne für ein Präsidialsystem ähnelten tatsächlich den Zuständen in Hitler-Deutschland, wo der Mann an der Spitze nach Belieben schalten und walten konnte.

„Diktatur-Reflexe“

Kemal Kiliçdaroğlu, der Vorsitzende der säkularen CHP, der zweitstärksten Partei im Parlament, sprach von „Diktatur-Reflexen“ des Staatsoberhauptes. Die Gegner Erdoğans halten dem 61-jährigen Präsidenten vor, er wolle alle Macht im Staat an sich reißen.

In Ankara versucht das Präsidialamt unterdessen zu retten, was zu retten ist. Erdoğans Äußerungen seien von den Medien verzerrt wiedergegeben worden, erklärte die Behörde. Der Staatschef habe lediglich sagen wollen, dass ein parlamentarisches System wie auch ein Präsidialsystem missbraucht werden könnten. Im ausführlichen Bericht über Erdoğans Pressekonferenz auf der Internetseite des Präsidialamtes tauchte die Hitler-Passage nicht auf.

Erdoğan drängt seit Langem darauf, das bisherige parlamentarische System der Türkei durch eine Präsidialdemokratie zu ersetzen. Der Präsident und seine Anhänger argumentieren, ein Präsidialsystem sei effizienter als ein parlamentarisches. Kritiker halten das für den Vorwand eines Mannes, der alles allein bestimmen will.

Dass das türkische System reformiert werden muss, ist dabei unumstritten: Die derzeitige Verfassung wurde 1982 von den Militärs ausgearbeitet. Erdoğan wirbt dafür, anstehende Gespräche über eine neue Verfassung für einen Systemwechsel zu nutzen.

Spekulationen über Neuwahl

Allerdings kann die Erdoğan-Partei AKP trotz ihres deutlichen Sieges bei der Parlamentswahl im November die Verfassung nicht aus eigener Kraft ändern. In den Medien wird deshalb bereits über vorgezogene Neuwahlen spekuliert, die Erdoğan ansetzen könnte, um der AKP zu einer Parlamentsmehrheit von mindestens 330 Sitzen zu verhelfen: Mit einer solchen Zahl der Mandate könnte die AKP den Präsidialplan einer Volksabstimmung vorlegen.

Allerdings zeigen die meisten Umfragen, dass die Türken das Präsidialsystem ablehnen; in einer Befragung kam Erdoğans Vorschlag auf eine Zustimmungsrate von gerade einmal 31 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2016)

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