Psychologe: "Trotz Automatenverbots gibt es nicht weniger Spielsüchtige"

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Symbolbild Glücksspiel(c) Michaela Bruckberger
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Sportwetten sind gleich gefährlich wie Automaten, sagt Psychologe Aron Kampusch. Besonders gefährdet sind Männer mit Migrationshintergrund.

Der klinische Psychologe Aron Kampusch arbeitete 17 Jahre lang als Croupier bei den Casinos Austria. Heute therapiert er Suchtkranke. Er weiß, wie Abhängigkeiten produziert werden – und wie man sie wieder los wird.

Ist Ihnen bekannt, dass die Sportwettlokale jetzt voll mit Flüchtlingen sind?

Aron Kampusch: Ja, selbstverständlich. Meiner Meinung ist die Werbung daran schuld – in Österreich gibt es dafür kein Regulativ. In den USA wäre das undenkbar. Es wird transportiert: Wenn du spielst, kannst du dir ein neues Leben kaufen. Es wird etwa eine Frau gezeigt, die in einem schicken Hotel putzt und dann so viel gewinnt, dass ihr später ihr Chef die Tür aufhalten muss. Es wird suggeriert, dass man sich von seinen Problemen loskaufen kann.

Die Flüchtlinge in den Wettlokalen sind ein recht neues Phänomen, aber auch vorher waren hier fast nur Männer anzutreffen, fast alle mit Migrationshintergrund. Warum?

Das stimmt, die größte Risikogruppe sind Männer mit Migrationshintergrund, die eine schlechte Ausbildung haben, wenig Geld und keine Perspektiven. Das Spielen in dieser Gruppe ist Teil einer gewissen Subkultur, wo auch gern und viel geprotzt wird – etwa mit teuren Autos oder Rollmöpsen (zusammengerollte Hundert-Euro-Scheine, Anm.). Hier können sie sich präsentieren, können sich eine Identität kaufen, in der Community positionieren. Interessant ist, dass sie Anerkennung in beiden Fällen bekommen: Wenn sie gewinnen und wenn sie verlieren. Männer, die viel verlieren, gelten als „harte Hunde“. Prinzipiell sind Frauen aber genauso suchtgefährdet wie Männer – es ist nur gesellschaftlich viel weniger akzeptiert, sie werden geächtet – Sportwetten sind dazu nicht unbedingt ihr Terrain.

Vor einem Jahr wurde in Wien das Kleine Glücksspiel endgültig abgeschafft, die einarmigen Banditen mussten abgebaut werden. Gibt es jetzt weniger Süchtige?

Trotz des Automatenverbots gibt es nicht weniger Spielsüchtige – die Anzahl ist gleich. Das ist, als würde man von einem Tag auf den anderen Alkohol verbieten – die Menschen bleiben trotzdem süchtig und finden ihre Mittel und Wege. In diesem Fall ist ein Teil auf Sportwetten umgestiegen, andere fahren nach Niederösterreich, wo Automaten noch erlaubt sind. Es gibt aber auch solche, die ins nahe Ausland fahren – und dann gibt es natürlich das Online-Gaming. In der Gesetzesnovelle von 2010 ist das nicht einmal erwähnt.

Sind Sportwetten, die als Geschicklichkeitsspiel gelten, weniger gefährlich als Glücksspielautomaten?

Sportwetten sind in meinen Augen ein Glücksspiel. Eine Wette sieht per definitionem vor, eine gewisse Kompetenz zu haben – etwa großes Wissen zu einer Mannschaft. Wenn ich aber Kombinationswetten mache – also auf das Ergebnis von fünf Spielen hintereinander setze – und diese alle richtig sein müssen, damit ich gewinne, dann gibt es einen Glücksfaktor. Ebenso bei Live-Wetten. Es ist Glück, wenn ich auf einen Spieler setze, der in Minute x ein Tor schießen soll. Was die Sportwetten weiters nicht ungefährlich macht, ist der soziale Faktor. Man trifft sich nicht vorrangig, um zu spielen, sondern um ein Fußballspiel auf einer großen Leinwand zu schauen, die man zu Hause vielleicht nicht hat. Man kann mit anderen jubeln, man setzt anfangs ein bisschen etwas – so kann man schnell in der Spielerwelt verschwinden.

Welche Gesetzesänderungen brauchte es aus Ihrer Sicht für einen besseren Spielerschutz?

Das sind vor allem zwei Dinge: Erstens müssen die Banken eingebunden und auch sanktioniert werden, wenn sie sich nicht an den Spielerschutz halten. Wie jeden Süchtigen muss man den Spielsüchtigen zuallererst vom „Stoff“ trennen – in dem Fall das Geld. Das Zweite ist eine Gesetzesunschärfe, die meiner Meinung nach einer Nuklearmine gleicht. Die Spielautomaten wurden 2010 zwar streng reguliert (in Wien pro 600 Personen ein Automat, Anm.), nicht aber die sogenannten Videolotterieautomaten (VLT). Sie sehen von außen gleich wie einarmige Banditen aus und funktionieren ähnlich. Diese sind nur einer geografischen Einschränkung unterworfen – sie müssen in einem gewissen Abstand zueinander stehen. Dass es in Wien so wenige gibt, ist eine Handshake-Vereinbarung der Lotterien – theoretisch könnte man Tausende aufstellen. Und jetzt, wo sich Novomatic, deren Automaten verboten wurden, ja bei den Lotterien einkaufen will, wird das spannend. Dieses Gesetz sollte man dringend reparieren.

Woran erkennen Angehörige, dass jemand spielsüchtig ist?

Spieler haben oft eine extrem gute Fassade. Meistens merken es Angehörige leider erst, wenn der Exekutor vor der Tür steht. Sonst sind die Marker aber die gleichen wie bei einer anderen Suchtkrankheit: wenn die Frequenz zunimmt, der Einsatz steigt, negative Konsequenzen einsetzen – und das Spielen dennoch nicht unterlassen wird. Es gibt auch körperliche Entzugserscheinungen wie Juckreiz, Zittern und Schwitzen. Bei diesen Symptomen sollte man wachsam werden.

Steckbrief

Aron Kampusch
ist 46 Jahre alt und klinischer Psychologe. Er arbeitete 17 Jahre lang als Croupier bei den Casinos Austria. Seit 2006 therapiert er, unter anderem am Anton-Proksch-Institut, Spielsüchtige. Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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