Syrien: Viele Todesopfer durch Vakuumbomben

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Mindestens 65 Tote durch Angriff angeblich russischer Jets. Der Einsatz solcher Brandwaffen in zivilem Umfeld ist verboten. Ein britisches SAS-Team jagt IS-Killer "Jihadi Sid".

Damaskus/London. Schwere Luftangriffe angeblich russischer Kampfflugzeuge haben in der Region Idlib im Nordwesten Syriens am Wochenende mindestens 65 Menschenleben gekostet. Der Hauptangriff hat einem Sharia-Gerichtsgebäude mit integriertem Gefängnis in der Stadt Maarat an-Numan gegolten, die Gegend ist unter Kontrolle jihadistischer Rebellen der al-Nusra-Front. Bei dem Bombardement sollen neben 23 Mitgliedern dieser Miliz und 14 Gefangenen anderer Guerillagruppen auch mindestens 22 Zivilisten getötet worden sein – das hat jedenfalls die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London am Sonntag mitgeteilt.

Angeblich haben die Jets auch Aerosolbomben abgeworfen: Diese setzen, simpel gesagt, durch eine leichte Explosion eine brennbare Flüssigkeit frei, die sich rasch in großem Umkreis mit Luft zu einem hochexplosiven Aerosol vermengt, das durch eine zweite Explosion gezündet wird. Durch Verpuffung entsteht ein Feuerball und darauf innerhalb des Verpuffungsbereichs ein Unterdruck bzw. Beinahevakuum, das Umgebungsluft orkanartig ansaugt. Folge: schwere Verbrennungen sowie Zerstörungen der Lunge, letzteres vor allem in der Unterdruckphase. Das Genfer Protokoll III über Brandwaffen von 1980 verbietet den Einsatz solcher Waffen in der Nähe von ziviler Infrastruktur und von Zivilisten. Syrien ist nicht Partei, Russland schon.

Die Richtigkeit der Angaben der Beobachtungsstelle ist nicht immer gesichert. So wurde etwa eines der angreifenden Flugzeuge auf einem Foto von den Aktivisten als russisch identifiziert; bei genauem Hinsehen aber sieht man, dass es zwar ein russisches Modell ist (Suchoi Su-24 Fencer), aber Markierungen der syrischen Luftwaffe trägt.

Britische Spezialeinheit jagt IS-Killer

Russland fliegt seit September Luftangriffe in Syrien – nach eigenen Angaben primär gegen die Jihadistenmiliz Islamischer Staat. Der Westen und militärische Beobachter indes behaupten, dass die Angriffe gegen jedwede Oppositionsgruppe gerichtet seien, um Syriens Regime zu stützen.

Britische Medien schrieben derweil am Sonntag, dass die Spezialtruppe SAS (Special Air Service) ein Team, darunter Scharfschützen, nach Syrien geschleust hätte, um einen IS-Kämpfer namens „Jihadi Sid“ (eigentlich: Siddharta Dhar) zu töten. Der 32-jährige gebürtige Brite, der einst Kinderhüpfburgen verkauft und vermietet hat, solle nicht gefangen genommen werden. Er ist in IS-Videos aufgetreten, bei denen er Syrer umgebracht hat, die für London spioniert haben sollen. Einer seiner Vorgänger, der berüchtigte, ebenfalls in Großbritannien geborene IS-Killer „Jihadi John“, wurde im November durch britische und US-Drohnen in Syrien getötet.

Hilfe für Hungernde erwartet

Heute soll ein UN-Hilfskonvoi erstmals seit Oktober Lebensmittel und Medikamente in die von Armee und Hisbollah seit Sommer belagerte Stadt Madaya nahe Damaskus bringen. Dort sind mehr als 40.000 Menschen eingeschlossen, die Berichten zufolge bereits Gras, Blätter, Insekten und Haustiere essen. Es gibt Andeutungen von Kannibalismus. Amnesty International zitierte einen Bewohner mit der Aussage, in der Stadt seien „lebendige Skelette“ auf den Straßen. Mindestens zwei Dutzend Einwohner sollen bereits verhungert, derzeit täglich ein oder zwei Menschen gestorben sein, heißt es. Bilder ausgemergelter Körper kleiner Kinder hatten im Dezember die Welt geschockt. Laut Medienberichten kostet ein Liter Milch in Madaya mittlerweile umgerechnet 270 Euro.

Mit dem Konvoi, dem Regierung und Rebellengruppen vorige Woche zugestimmt haben, sollen Vorräte für mehrere Monate transportiert werden; denn auch, wenn die Versorgung der Menschen gelingt, dürfte der Kampf um die Stadt anhalten. Die UNO wollte die Hilfe schon am Sonntag nach Madaya bringen, doch gab es Probleme bei der Organisation der Fahrt. Die endlose Belagerung von Städten und Ortschaften gehört zum Bürgerkrieg in Syrien. Laut BBC leben 400.000 Menschen in 15 eingeschlossenen Orten ohne Zugang zu Hilfsgütern. (wg/güs/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2016)

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