"Creed": Der Kampf im Ring und im Leben

Michael B. Jordan und Sylvester Stallone
Michael B. Jordan und Sylvester Stallone Warner Brothers Pictures
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Vielleicht die beste Leistung seiner Karriere: Sylvester Stallone ist wieder Rocky – und trainiert den Sohn seines ehemaligen Widersachers. Von Underdog zu Underdog: eine gelungene Staffelübergabe. Derzeit im Kino.

Wer jemals einen Boxkampf gesehen hat, weiß: Der Ring ist nicht bloß Austragungsort eines sportlichen Wettbewerbs. Die quadratische Arena ist Projektionsfläche für Sehnsüchte und Angstvorstellungen, verkörpert von den Boxern selbst. Insofern ist ein Rocky Balboa auch nicht einfach nur ein Kinoheld unter vielen. Er ist die Fleisch und Muskeln gewordene Hoffnung auf ein gutes, gerechtes, soziales Amerika, einen Ort, an dem Tugenden über Selbstsüchte triumphieren.

Sylvester Stallone, nicht nur aufgrund seines asymmetrischen Gesichts einer der unwahrscheinlichsten Hollywood-Stars aller Zeiten, hat Mitte der Siebzigerjahre mit seinem Drehbuch zu John G. Avildsens Meisterwerk „Rocky“ den Mythos begründet: Die Geschichte eines verarmten Geldeintreibers mit italienischen Wurzeln, der im räudigen Philadelphia eine Chance auf den ganz großen Schlager erhält. Denn der Weltranglistenerste unter den Schwergewichtlern, Apollo Creed, plant einen öffentlichkeitswirksamen PR-Coup und will gegen einen unbekannten Underdog-Boxer in den Ring steigen. Arm vs. Reich, Authentizität vs. Künstlichkeit, Herz vs. Geld: Weltvorstellungen hauen einander auf die Fresse. Am Ende triumphiert Rocky und wird zur Legende.

Rocky Balboa ist jetzt Wirt

„Creed“ heißt der siebte „Rocky“-Film. Es ist der erste, der nicht nach Stallones Figur benannt ist. Stattdessen steht Adonis Creed (Michael B. Jordan), der Spross von Balboas einstigem Widersacher, im Mittelpunkt: Sein Vater wurde von einem mit Steroiden vollgepumpten Sowjetboxer im Ring vor laufenden Kameras zu Tode geschlagen, der aus der Bahn geworfene Junge verbringt viel Zeit im Jugendstrafvollzug. Im Erwachsenenalter nimmt er sich ein Herz und reist nach Philly: Dort betreibt Rocky mittlerweile ein Restaurant, an dessen Wänden seine eigene Geschichte hängt und das außerdem nach seiner verstorbenen Frau Adrianna benannt ist. Ein Mann, der in der Vergangenheit lebt. Zuerst widerwillig, dann aber mit voller Überzeugung, willigt er ein, Richtung Zukunft zu blicken und den jungen Creed zu trainieren.

Regisseur Ryan Coogler („Fruitvale Station“), selbst erst 29, macht bei seinem zweiten Projekt vieles richtig: Während zeitgenössische Boxerfilme, wie etwa unlängst „Southpaw“, gerne die Psychopathologie der Leistungsgesellschaft aufzeigen, ist „Creed“ im besten Sinn klassizistisch. Es geht, worum es im „Rocky“-Kino schon immer gegangen ist: darum, dass man über sich selbst hinauswächst, dass man die biografischen Fesseln der eigenen Familie abschüttelt und entgegen aller Wahrscheinlichkeit am Ende siegt. Der Triumph ist allerdings kein Selbstzweck, sondern Selbstfindung. In „Rocky III“, inszeniert von Sylvester Stallone selbst, wurde anfangs eine Statue von ihm in Siegerpose enthüllt, die letztendlich seinen Niedergang einleitet. „Du bist nicht mehr hungrig!“ krächzte ihm sein Trainer Mickey (unvergesslich: Burgess Meredith) damals entgegen. Soll heißen: Wer keinen existenziellen Druck verspürt, in den Ring zu steigen, wer nur mehr kämpft, um Geld zu verdienen, der wird, nein, der muss verlieren.

Adonis Creed, Spitzname „Hollywood“, ist hungrig, und das nicht nur nach den legendären Philly Cheesesteaks. Er muss aus dem gewaltigen Schatten seines Vaters heraustreten, um sein eigener Mensch zu werden. Dabei hilft ihm, wie damals bei Rocky, eine Frau: Bianca (toll: Tessa Thompson) ist Sängerin bei einer Electro-Truppe und verliebt sich in Don.

Daheim in den Straßen Philadelphias

„Creed“ ist aber mehr als ein Postskriptum zu einem der ikonischsten Boxerfilme aller Zeiten: Coogler inszeniert, um es sportlich zu sagen, eine Staffelübergabe. Der Italoamerikaner übergibt an einen Farbigen. Beide sind sie Underdogs, die nicht zuletzt deshalb so gut kämpfen, weil das Leben es ihnen schwer gemacht hat und sie mehr als einmal ausholen mussten, um nicht unterzugehen. Sie gehören nicht zum weißen Establishment, fahren keine SUVs, haben kein Häuschen im Grünen. Ihr Zuhause sind die Straßen Philadelphias, wo die Mistkübel brennen und das Gossenrecht immer siegt. Auch deshalb träumen sie von einer gerechteren Welt und erkämpfen sie sich im Ring – und im Leben. Bei Rocky wird derselbe Krebs diagnostiziert, der schon seine Frau dahingerafft hat. Während er Creed trainiert, kämpft er selbst um sein Leben. Stallone ist für seine Darstellung zu Recht für einen Nebendarsteller-Oscar nominiert: Es ist die vielleicht beste Leistung seiner Karriere.

ZUR PERSON

Sylvester Stallone wurde 1946 in New York City in eine italoamerikanische Familie geboren, er wuchs in einem Vorort von Philadelphia auf. Durch eine Zangengeburt hat er eine Muskellähmung im Gesicht. 1975 schrieb er das Drehbuch für „Rocky“ und bot es Filmproduzenten an, mit der Bedingung, dass er die Hauptrolle spielen darf. Es wurde ein Welterfolg, so wie die bisher fünf Fortsetzungen. Nun kommt die sechste. Stallones zweite Paraderolle ist der Vietnam-Veteran Rambo.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2016)

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