"Hunger nach Offenheit wegen Krise größer"

EU-Ombudsfrau O'Reilly untersucht Triloge.
EU-Ombudsfrau O'Reilly untersucht Triloge.(c) APA
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Die europäische Ombudsfrau, Emily O'Reilly, lobt die Maßnahmen der Kommission für mehr Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen, kritisiert aber, dass Gespräche mit Lobbyisten oft noch im Geheimen ablaufen.

Die Presse: Die europäische Öffentlichkeit hat wenig Vertrauen in die Gesetzgebung der EU, weil viele Bürger das Zustandekommen gemeinsamer Regeln nicht nachvollziehen können. Was sollte zur Verbesserung der Situation unternommen werden?

Emily O'Reilly: Es stimmt, viele Menschen haben das Gefühl, dass die EU-Gesetzgebung völlig im Geheimen abläuft. Deshalb habe ich eine Initiative gestartet, die die Transparenz der Trilogverfahren, bei denen Kommission, Rat und Parlament über wichtige Gesetze informell beraten, genauer beleuchtet. Es ist natürlich nicht einfach, eine Einigung zwischen den drei Institutionen zu erreichen – aber es wäre sicher nicht unmöglich, etwas mehr Informationen herauszugeben, die die Öffentlichkeit befriedigen würden. Ich verstehe natürlich auch die Bedenken der Institutionen, denn vor jedem Deal muss es die Möglichkeit geben, dass die Verhandler informell sprechen können.


Die größte Kritik mangelnder Transparenz trifft die TTIP-Verhandlungen zwischen der Brüsseler EU-Kommission und der US-Regierung in Washington. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat mehr Offenheit versprochen. Sind Sie zufrieden?

Ich finde Malmströms Bemühungen großartig. Einen Kritikpunkt gibt es aber: die Gespräche zwischen Kommissionsvertretern und Lobbyisten.


Was meinen Sie konkret?

Es werden zwar jene Treffen veröffentlicht, die zwischen einem Kommissar oder dem Leiter einer Generaldirektion und einem Lobbyisten stattfinden – nicht aber die zahlreichen Gespräche, die es auf den unteren Ebenen gibt. Dort findet sehr viel Lobbying statt, wie wir wissen – und dieses sollte ebenso sichtbar gemacht werden. Zudem wissen wir nicht immer, welche Person von einem bestimmten Unternehmen an den Gesprächen teilgenommen hat – war es der Geschäftsführer oder jemand anderer? Insgesamt ist mir aber klar, dass der gesamte Prozess der Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen keine Revolution, sondern vielmehr eine Evolution ist. Wichtig ist auch, dass die Kommission gelernt hat, dass die Forderung der Öffentlichkeit nach Transparenz beim Zustandekommen von Gesetzen heute viel stärker ist.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Die Staatsschuldenkrise war sicherlich ein großer Einschnitt, der viel Vertrauen zerstört hat. Wegen dieses Traumas, das die Bürger in vielen EU-Staaten mitmachen mussten, ist der Hunger nach Transparenz heute größer. Doch auch die sozialen Medien waren ein entscheidender Faktor. Als die TTIP-Verhandlungen begonnen hatten, war die Kommission völlig überrascht von der Direktheit der Kampagnen in den sozialen Netzwerken. Diese Generation junger Menschen ist es gewohnt, jederzeit Zugang zu allen möglichen Informationen zu haben – deshalb versteht sie Geheimnisse nicht. Es gibt also einen kulturellen Wandel, was die Erwartungen der Öffentlichkeit angeht. (aga)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2016)

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