Verständnis der EU für Österreich

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Die Umsetzung von Obergrenzen würde EU-Recht widersprechen. Der Beschluss der Bundesregierung wird aber vor allem als Folge der mangelnden Solidarität in Europa bewertet.

Brüssel/Straßburg. Die EU-Institutionen reagierten am Mittwoch verhalten auf die Ankündigung der österreichischen Bundesregierung, Obergrenzen für den Zuzug von Flüchtlingen festzusetzen. „Ich möchte Österreich meinen größten Respekt zollen. Es hat bis zuletzt alles unternommen. Ich kann in einer gewissen Weise nachvollziehen, was heute in Wien beschlossen wird“, sagte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz. Er schränkte allerdings ein, dass „Menschen, die vor Assads Fassbomben und dem Terror des IS fliehen“, nicht davor abgehalten werden dürften, nach Europa zu reisen.

Offiziell wollte die EU-Kommission auf Anfrage der „Presse“ nicht Stellung nehmen. „Wir kommentieren nicht Ankündigungen, sondern nur Gesetzestexte, sobald sie angenommen sind und wir sie analysiert haben.“ Doch Vertreter der Kommission machten auch deutlich, dass eine Obergrenze natürlich dem Gemeinschaftsrecht widersprechen würde. „Es sei fraglich, ob es sinnvoll ist, Maßnahmen zu setzen, die dann nach einigen Wochen wieder zurückgezogen werden müssen.“

Einwände des EuGH

Zuletzt hat der Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Koen Lenaerts, erklärt, das Einziehen von Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen sei nicht mit EU-Recht vereinbar. „Immer wenn jemand asylberechtigt ist, hat er nach dem Unionsrecht das Anrecht darauf, als Flüchtling anerkannt zu werden“, sagte Lenaerts in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Auch die niederländische Ratspräsidentschaft zeigte Verständnis für die österreichische Situation. Der Beschluss wird als Folge des bisherigen Scheiterns der gemeinsamen Flüchtlingspolitik gesehen. Der Premierminister der Niederlande, Mark Rutte, stellte im Fall des Scheiterns der bisher getroffenen EU-Maßnahmen Alternativen in Aussicht. „Wenn sich die Situation nicht binnen sechs bis acht Wochen bessert, müssen wir über einen PlanB nachdenken. Dann könnten weitere Länder jene Maßnahmen ergreifen, die Österreich heute ergriffen hat. Die Zahl der Neuankömmlinge muss in den nächsten Monaten zurückgehen.“ Ähnlich äußerte sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: „Wenn die Flüchtlingskrise so weitergeht, können Grenzschließungen nicht ausgeschlossen werden.“

In Brüssel wird vor allem auf die mangelnde Solidarität in der Flüchtlingskrise verwiesen. Denn durch die Weigerung einiger Länder, sich an der Aufteilung von Flüchtlingen zu beteiligen, könne kein gemeinsamer, geordneter Zugang von Neuankommenden organisiert werden. Dies sei auch ein Grund, warum Länder wie Österreich oder Deutschland übermäßig belastet seien.

Juncker will das nächste Gipfeltreffen im Februar verlängern, um endlich eine Lösung der Flüchtlingskrise voranzutreiben. Die Tagung sollte sich eigentlich nur mit den Forderungen Großbritanniens nach einer Reform der EU beschäftigen. „Wir können aber nicht aus Brüssel abreisen, nach den erledigten Großbritannien-Geschäften, das würde ein verheerendes Signal aussenden“, so Juncker.

„Reaktion auf rechte Parolen“

Deutsche Europaabgeordnete haben die Entscheidung der österreichischen Bundesregierung hingegen scharf kritisiert. „Eine Obergrenze für Asyl löst keines der Probleme, ist moralisch fragwürdig und verstößt gegen die UN-Flüchtlingskonvention“, so der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul. Eine nationale Obergrenze sei „auch unfair und unsolidarisch gegenüber anderen EU-Ländern“. Ähnlich argumentierte seine SPD-Kollegin, Birgit Sippel: „Obergrenzen für Asylbewerber sind eine populistische, ja ängstliche Reaktion auf rechte Parolen.“ (la, wb, ag.)

AUF EINEN BLICK

EU-Recht. Eine Obergrenze würde laut dem Europäischen Gerichtshof EU-Recht widersprechen. Menschen, deren Leben in ihrer Heimat bedroht ist, haben ein Anrecht darauf, in der EU als Flüchtling anerkannt zu werden. Dieses Recht könne nicht quantitativ eingeschränkt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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