Sarajewos mächtiger Medienmogul in Haft

Members of Bosnia´s State Investigation and Protection Agency stand outside the buliding of Dnevni Avaz newspaper in Sarajevo
Members of Bosnia´s State Investigation and Protection Agency stand outside the buliding of Dnevni Avaz newspaper in Sarajevo(c) REUTERS (DADO RUVIC)
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Die politische Klasse des Landes ist ins Mark getroffen. Die Festnahme des Politikers und Zeitungsbesitzers Fahrudin Radončić führt zu einer Regierungskrise und deckt mafiose Zusammenhänge auf.

Sarajewo. „Heute bin ich aufgewacht und habe das erste Mal das Gefühl, in einem normalen Staat zu leben,“ erklärte eine Anruferin im lokalen Radio Sarajevo. Die Nachricht, die sie elektrisierte, war die Verhaftung des Medienmoguls und Politikers Fahrudin Radončić, eines der mächtigsten Männer der bosniakischen Volksgruppe von Bosnien und Herzegowina.

Dem schillernden Multimillionär Radončić, Besitzer der größten Tageszeitung „Dnevni avaz“ und Chef der Partei für eine bessere Zukunft (SBB), die bei den Wahlen 2014 immerhin über zehn Prozent der Stimmen gekommen und Teil der Regierungskoalition ist, wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, die Justiz bei ihrer Arbeit behindert zu haben.

Das klingt zunächst einmal nicht gerade aufregend. Die Geschichte, die sich hinter der Anschuldigung verbirgt, gibt jedoch einen tiefen Einblick in die mafiosen Verwicklungen der herrschenden Politikerkaste in Sarajewo.

Mord an Milizenchef Ćelo

Denn Radončić soll versucht haben, eine Zeugin im Fall des kosovo-albanischen Drogenhändlers und Mafioso Naser Kelmendi unter Druck zu setzen. Kelmendi, der jahrelang in Bosnien gelebt hat und das Hotel Hollywood im Vorort Ilidža betreibt, steht im Kosovo vor Gericht. Bei der Verhandlung tauchten auch Hinweise auf, dass Kelmendi den Mord an Razim Delalić (Ćelo), einem kriminellen Milizenchef während des Kriegs 1992 bis 1995 in Sarajewo, im Juni 2007 in Auftrag gegeben hat.

Die ehemalige Geliebte Delalićs, Azra Sarić, vermutet, dass Rodončić im Hintergrund am Mord an Delalić beteiligt war. Um die Aussage der Frau zu verhindern, versuchte Radončić nach Auffassung der Staatsanwaltschaft, über seinen Parteifreund Bakir Dautbašić Anfang Jänner die Zeugin unter Druck zu setzen. Sie sollte vor Gericht einen Text verlesen, den Radončić zuvor gebilligt hatte. Doch die Zeugin wandte sich postwendend an die Staatspolizei Sipa, was die Verhaftung Dautbašićs vor wenigen Tagen und Radončićs am Montag nach sich zog.

Dieser Vorgang ist unter anderem deshalb erstaunlich, weil Radončić bis zu den letzten Wahlen im Herbst 2014 noch Innenminister und damit Vorgesetzter der Polizeibehörde war. Mehr noch: Radončić hat es verstanden, nach den Wahlen mit seiner Partei eine Koalition auf allen Staatsebenen zu schmieden und damit sowohl in der bosniakisch-kroatischen Föderation wie auch im Gesamtstaat präsent zu sein. Freund Dautbašić sollte darin Minister werden. Bosnien und Herzegowina ist in die Bosniakisch-kroatische Föderation und die Serbische Republik aufgeteilt.

Nächste Woche wollte die neue Regierung einen Antrag auf Aufnahme Bosnien und Herzegowinas in die EU stellen. Die Verhaftung Radončićs führt nun aber zu einer Regierungskrise.

Mit diesem Argument versuchen nun neben der Radončić-Partei auch die Koalitionspartner, die muslimisch-nationalistische SDA unter Bakir Izetbegović und die kroatisch-nationalistische HDZ, die Staatsanwaltschaft unter Druck zu setzen. Dagegen rufen die oppositionellen Sozialdemokraten und die Zivilgesellschaft die Staatsanwaltschaft dazu auf, sich nicht beeinflussen zu lassen und ihren Job zu machen. Täte sie dies, könnten dem Fall Radončić zur Freude der Anruferin bei Radio Sarajevo bald weitere folgen. Denn mafiose Zusammenhänge wie die jetzt aufgedeckten gibt es in mehreren Parteien des Landes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2016)

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