„Amerika, du hast es besser“: Blick auf US-Vorwahl lässt daran zweifeln

Im Vergleich zur Kandidatenkür der westlichen Weltmacht sind Persönlichkeiten, die sich bei uns um die Bundespräsidentschaft bewerben, geradezu Lichtgestalten.



quergeschrieben

Goethe hatte ein Idealbild von Amerika. Im Vergleich zu den europäischen Kleinststaaten, ihrer Heiratspolitik, dem Verkauf von Landeskindern als Soldaten, der religiösen Intoleranz und ihrem engstirnigen Nationalismus sah er in Amerika die Verwirklichung aufklärerischer Ideale. Waren nicht Gründungsväter wie Benjamin Franklin, den er mit Begeisterung gelesen hatte, vorurteilsfreie und tolerante Weltbürger? Solche Qualitäten vermisste Goethe im alten Kontinent.

Selbst die kleinen geologischen Irrtümer („Amerika, du hast es besser: hast keine Basalte“) relativieren nicht seine Hymne an das Land der Freiheit. „Der lebhafte Trieb nach Amerika im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts war groß, indem ein jeder, der sich diesseits einigermaßen unbequem befand, sich drüben in Freiheit zu setzen hoffte“, heißt es im „Wilhelm Meister“.

Die Frage, welchen Vergleich Goethe heute zwischen Europa und Amerika anstellen würde, ist müßig. Reizvoll ist sie aber angesichts jener Kritik, die die USA manchmal an Europa üben. Vergleichen wir die US-Vorwahl mit dem beginnenden österreichischen Präsidentschaftswahlkampf. Auf den Titelseiten unserer Medien dominiert ein Politclown und Immobilienmilliardär. Dessen Föhnwelle verdeckt vielen Kommentatoren den Blick auf den Rechtsruck der US-Politik.

Zeitschriften wie „The Atlantic“ oder „The New Republican“ weisen mit Sorge auf die politischen Botschaften jener Konkurrenten hin, die Trump kürzlich einen Vorwahldämpfer verpasst haben. Könnte man sich bei uns Präsidentschaftsbewerber vorstellen, die für die Todesstrafe, ein generelles Einreiseverbot für Muslime, gegen Waffenkontrolle, gegen Sozialversicherungen, Schwangerschaftsunterbrechungen, gegen Steuern auf Bundesebene sind und die Abschaffung von Umweltbehörden verlangen?

Selbst Hillary Clinton, jetzt eine Liberale, übergeht gern, dass sie einst als „Goldwater-Girl“ den „AuH2O“-Hut für den Polit-Rechtsaußen getragen hat. Über ihren Aufsichtsratsposten beim Supermarktriesen Walmart und dessen Kampf gegen die Gewerkschaften redet sie noch weniger.

Im Vergleich zu den meisten US-Vorwahlkämpfern sind unsere Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für die Bundespräsidentschaft Lichtgestalten. Umso seltsamer ist, wie sie medial abqualifiziert werden. Ein „Altersheim“ sei es, das antrete. Andreas Khol versuche sich „als Bierzelt-Star“, Rudolf Hundstorfer sei „über Nacht ein Stahlarbeiter und Stammtischpsychologe“ geworden und Alexander Van der Bellen „Obi-Wan Kenobi aus der ,Star Wars‘-Trilogie.“ Auch so kann man die Parteiendemokratie sturmreif schreiben.

Thomas Chorherr, Ex- Chefredakteur der „Presse“, hat einmal sinngemäß gemeint, wie gut es Politikerinnen und Politiker hätten, wenn sie Autos wären. Ein gutes, älteres Auto nennen wir einen Oldtimer; ein Politiker wäre zu alt. Neue Modelle gelten als innovativ – eine Politikerin wäre unerprobt. Präsidentschaftskandidaten haben offenbar nur die Wahl, entweder zu alt oder zu unerfahren zu sein.

Das ist etwa so, wie wenn man auf den Autoseiten einem Kleinwagen den Mangel an Bequemlichkeit vorwirft, einer Limousine, dass sie nicht in jede Parklücke passt und einem Bus, dass er nicht windschlüpfrig genug ist. Verfügen Persönlichkeiten über langjährige Regierungs- oder Parlamentserfahrung, sollen sie das verschweigen. Verlässlichkeit gilt nichts. Interessant sind nicht erprobte Vorzüge, sondern Defizite: Die müssen angeprangert werden.

Goethe würde heute in den USA einen Benjamin Franklin vergeblich suchen. Im Vergleich zu den USA bewerben sich bei uns besonnene Persönlichkeiten um das höchste Amt. Um beim Autovergleich zu bleiben: Mir ist ein in Österreich sorgfältig geprüftes Modell allemal lieber als ein amerikanischer Spritfresser. Ich würde von unseren Präsidentschaftsbewerberinnen und -bewerbern auch einen Gebrauchtwagen kaufen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2016)

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