Tiroler befürchten ein Ende des grenzenlosen Urlaubens

FL�CHTLINGE:  PROTESTAKTION IN GRIES AM BRENNER-GRENZ�BERSCHREITENDE MENSCHENKETTE GEGEN ´MAUERN´
FL�CHTLINGE: PROTESTAKTION IN GRIES AM BRENNER-GRENZ�BERSCHREITENDE MENSCHENKETTE GEGEN ´MAUERN´(c) APA/EXPA/ JAKOB GRUBER
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Die geplanten lückenlosen Grenzkontrollen in Österreichs Süden machen Tirols Touristikern Druck. Rom pocht auf einen Verzicht dieser Kontrollen.

Wien.„Wer Schengen killt, trägt auch den Binnenmarkt zu Grabe“, beschwor jüngst EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die zunehmende Gefahr eines geteilten Wirtschaftsraums herauf. In der Flüchtlingskrise bekommt auch der Traum vom grenzenlosen Wirtschaften zusehends Risse. Die geplante lückenlose Kontrolle der österreichischen Südgrenze nach dem Modell Spielfeld ist nicht dazu angetan, diese zu kitten. WKO-Chef Christoph Leitl prognostiziert den heimischen Betrieben im Fall längerfristiger Kontrollen einen Schaden von 1,2 Mrd. Euro – Minimum. Neben den Frächtern sind vor allem Österreichs Touristiker die wirtschaftlich Leidtragenden der politischen Entwicklungen.

Zehn bis 30 Prozent ihrer Gäste hätten die Tiroler Skigebiete in der laufenden Wintersaison bislang eingebüßt, so WKO-Tourismusobfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher. Grund war das Ausbleiben der Gäste aus dem Norden – der Deutschen, Holländer, Schweden –, vor allem aber der bayrischen Tagesgäste. „In der Faschingswoche, in der früher noch kurzfristig gebucht wurde, war heuer Stillstand. Neben Wetter- und Pistenverhältnissen werden jetzt die Grenzkontrollen zum zusätzlichen Faktor.“ Das sieht auch Tourismusforscher Peter Zellmann so. Die Kontrollen könnte in der angeschlagenen Stimmung, in der sich der heimische Wintertourismus befinde, bei vielen Reisenden den Ausschlag geben, nicht zu fahren. Nocker-Schwarzenbacher ergänzt: „Und das ist wohl erst der Anfang. Ich wage nicht daran zu denken, wie sich die Südgrenze auswirkt.“

In Tirol wagt man es. Morgen, Mittwoch, versammeln sich die wirtschaftlichen und politischen Akteure aus Nord-, Ost- und Südtirol zu einer außerordentlichen Arbeitssitzung in Bozen. Dort soll beraten werden, wie man das Grenzmanagement anlegt, um den Wirtschaftsraum auf beiden Seiten der österreichisch-italienischen Grenze vor gröberem Schaden zu bewahren. Franz Theurl, der als Vorstand des Osttiroler Tourismusverbands teilnimmt, nennt die Entwicklung einen „herben Schlag“. Er, der schon 1998 im Geschäft war, als die „Unrechtsgrenze“ zu Südtirol mit einem symbolträchtigen Händedruck zwischen den Innenministern der beiden Länder am Brenner fiel, sieht einen „gravierenden Einschnitt für die Tourismuswirtschaft“ kommen.

Zu einem freundschaftlichen Händedruck zwischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und ihrem derzeitigen Amtskollegen Angelino Alfano dürfte es so bald nicht kommen. Dieser forderte Österreich am Montag auf, auf Pläne zur Grenzschließung zu verzichten. Das als Weg zur Lösung der Flüchtlingsproblematik zu begreifen, sei „reine Illusion“, sagte der Innenminister. Alfano empfing am Montag in Rom die Landeschefs der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino, Günther Platter (ÖVP), Arno Kompatscher und Ugo Rossi, die bei ihm für eine Koordinierung der Grenzkontrollen am Brenner warben.

Rund um den Osttiroler Grenzort Sillian, Nebenschauplatz der aktuellen Brenner-Debatte, arbeite man laut Theurl mittlerweile grenzübergreifend als eine Wirtschafts- und Nahverkehrsregion zusammen. Winters ziehen zwölf Skigebiete, die sich zum Skiverbund Dolomiti Superski zusammenschlossen, Besucher an. Sommers fahren auf dem von Italien über Osttirol und Kärnten bis nach Slowenien führenden Drau-Radwanderweg an Spitzentagen 4000 Radler über die grüne Grenze nahe Sillian. Theurl will Landeshauptmann Platter aber in seinem Wunsch nach verstärktem Grenzschutz nicht in den Rücken fallen: „Die Notwendigkeit von Kontrollen muss akzeptiert werden.“

Derzeit arbeite man wie auf dem morgigen Treffen mit der Politik in Innsbruck und Bozen an einer Sonderlösung für den Radweg. Denn der Sommer kommt und mit ihm die italienischen Tagestouristen, die mittlerweile ein Drittel der Sommergäste in Osttirol ausmachen und viel Geld in der Dolomitenstadt Lienz lassen. Theurl hofft, dass der Ausnahmezustand nur ein Jahr dauert. Tourismusforscher Zellmann warnt Klein- und Mittelbetriebe rund um grenznahe Städte wie Lienz aber, den Ernst oder die Dauer der Lage zu unterschätzen: „Einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, ist keine Lösung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2016)

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