Auf einmal Metternichs Erben

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Ein Vorbild für die einen, eine Gefahr für die anderen: Seit Schwarz-Blau stand Österreich nicht mehr so im Fokus der Politik und Medien Europas wie jetzt.

Ohne Metternich geht derzeit gar nichts mehr. Und es ist ja auch durchaus naheliegend, dass die deutschen Kollegen das Thema über die Bande der Donaumonarchie zu spielen versuchen. So oft ist Österreich nicht von Relevanz für die europäischen Medien. Und in der Wahrnehmung der anderen erscheint die Geschichte dieses früheren Großreiches eben noch immer bedeutender als die Rolle der kleinen Republik Österreich.

So hieß es am Freitag im Leitartikel der „Welt“: „Zweihundert Jahre nach dem Wiener Kongress wirkt es kurzzeitig, als sei die Metropole an der Donau wieder zum Zentrum der europäischen Diplomatie geworden und hätte erstmals wieder die preußische Rivalin Berlin ausgestochen. Eine Meisterleistung alteuropäischer Staatskunst.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ kam unter dem Titel „Das Wiener Kongresschen“ – gemeint ist die Westbalkan-Konferenz in Wien vom Mittwoch – zum gegenteiligen Schluss: Dies sei ein hilfloser Versuch gewesen, auf die Lage zu reagieren. Das „verkleinerte Österreich“ versuche zwar irgendwie, seine historische Vormachtrolle zu reaktivieren. Allerdings, so klingt zwischen den Zeilen durch, sei der Metternich von gestern eher die Merkel von heute. Immerhin habe der altösterreichische Staatskanzler und Außenminister schon damals auf eine „türkische Lösung“ gesetzt, also die Einbindung des Osmanischen Reichs zur Lösung der Probleme seiner Zeit.

Und auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bemühte gestern im Kommentar auf Seite eins den historischen Vergleich: „Die Zeiten, in denen Österreich durch eine geschickte Heiratspolitik glücklich wurde, scheinen endgültig vorbei zu sein. Die politische Ehe der Bundeskanzlerin mit dem österreichischen Bundeskanzler jedenfalls ist an der Flüchtlingsfrage gescheitert.“ Angela Merkel profitiere aber letztlich von Werner Faymanns Plan B.

Zuletzt eher nichtssagend

Historisch etwas kurzfristiger betrachtet lässt sich sagen: Seit Schwarz-Blau stand Österreich nicht mehr so im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit wie jetzt als „Anführer einer Koalition der willigen Grenzsicherer“ (© „Die Welt). Das in den vergangenen Jahren eher nichtssagende Land in der Mitte Europas zeigt wieder ein kantigeres Profil.

Wie zuletzt während der Regierungszusammenarbeit von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider: Galt Österreich damals zu Beginn des Experiments noch als „Nazi-Land“, wurde es im weiteren Verlauf sogar als ökonomisches Vorbild für Deutschland gepriesen. „Ist Österreich das bessere Deutschland?“ fragte der „Stern“ 2005 auf dem Cover.

Diese Frage mit Ja beantworten dürften nun auch viele Deutsche in Bezug auf die Flüchtlingskrise. Und Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner spielen auf dieser Klaviatur. Mikl-Leitner sorgt in deutschen Talkshows für Aufsehen – zuletzt in „Hart, aber fair“. Sebastian Kurz gibt reihenweise Interviews in deutschen Zeitungen von „FAZ“ bis „Bild“. Am Dienstag dieser Woche besuchte er eine Wahlkampfveranstaltung der CDU-Chefin von Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, die in der Flüchtlingsfrage eine andere Linie als Angela Merkel vertritt.

Mit der bayerischen CSU ist die ÖVP ohnehin schon seit Längerem eines Sinnes. Dafür wurde zuletzt aus der Bundes-CDU die Kritik an Wien immer lauter: Kanzleramtsminister Peter Altmaier meinte am Mittwoch, Österreich sei ein denkbar schlechtes Vorbild. Das sehen auch andere Politiker so – von der EU-Kommission bis Griechenland.

Wende zu Visegrád

Österreich hat eine Wende von Berlin hin zu den Visegrád-Staaten vollzogen. Auch atmosphärisch. Und Sebastian Kurz und Johanna Mikl-Leitner, die Gesichter dieser Korrektur der österreichischen Flüchtlingspolitik nach außen, sind sich durchaus bewusst, dass sie sich hier auf dünnem Eis bewegen. Aber sie können nicht anders. Jetzt die Linie wieder aufzuweichen, würde ihnen als Wankelmut ausgelegt. Und natürlich genießen sie auch die Aufmerksamkeit und den Respekt, die ihnen nicht zuletzt von den Vertretern südosteuropäischer Staaten entgegengebracht werden. Da kann man griechische Unfreundlichkeiten schon leichter wegstecken.

Auch Medien anderer europäischer Länder – von Großbritannien bis Spanien – berichten derzeit ausführlich über die austro-hellenische Verstimmung und die Kehrtwende in der hiesigen Flüchtlingspolitik generell. „Le Monde“ titelte, Österreich „desolidarisiere“ sich von Deutschland. Die französische Zeitung wirft die Frage auf, ob Österreich schon Ungarn sei. Nicht ganz, lautet die Antwort. Immerhin nehme das Land 2016 noch 37.500 Flüchtlinge auf.

Nationaler Schulterschluss

Der geschlossene Auftritt der österreichischen Koalitionsregierung inklusive Bundeskanzler und Vizekanzler in der Flüchtlingsfrage ist jedenfalls ein ungewohntes Bild. Und die Regierung ist nun – wie seinerzeit bei den EU-Sanktionen – nach der Kritik der EU-Kommission und anderer europäischer Staaten noch näher zusammengerückt.

So viel Schulterschluss im Hause Österreich war schon lange nicht mehr. Clemens Wenzel Fürst von Metternich hätte seine Freude daran gehabt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

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