Berlin befürchtet Terroranschläge auf Vertretungen in Türkei

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Präsident Erdoğan erhöht den Druck: Kurdenvertreter wurden verhaftet, Auslandsjournalisten die Genehmigung verwehrt.

Istanbul. Während die EU bei ihrem Gipfel in Brüssel überlegt, die Türkei zum sicheren Drittstaat für die Rückführung von Flüchtlingen zu erklären, breitet sich im Land selbst die Angst vor neuen Terrorakten aus. Deutschland schloss am Donnerstag – nach „sehr konkreten Hinweisen“ auf geplante Terroranschläge – diplomatische Vertretungen, Schulen und Goethe-Institute in Istanbul und Ankara. Die türkischen Behörden kritisierten die Entscheidung als übertrieben und warfen der Bundesrepublik vor, die Öffentlichkeit zu verunsichern.

Die Drohungen gegen deutsche Einrichtungen waren am Mittwochabend eingegangen. Wer dahintersteckte, blieb zunächst unklar. Infrage kommen unter anderen Jihadistengruppen wie der Islamische Staat (IS); ein IS-Anhänger hat im Jänner in Istanbul bei einem Selbstmordanschlag zwölf deutsche Touristen getötet. Die deutsche Regierung unterstützt die nordirakischen Kurden mit Waffenlieferungen im Kampf gegen den IS, der in jüngster Zeit in Syrien und im Irak unter wachsenden Druck gerät.

Doch auch ein Zusammenhang mit dem Kurdenkonflikt ist möglich. Kurdische Extremisten hatten am vergangenen Sonntag in Ankara bei einem Autobombenanschlag 37 Menschen getötet; das bevorstehende kurdische Neujahrsfest Newroz am kommenden Montag war in den vergangenen Jahren immer wieder Anlass für Gewalttaten. Die PKK hatte mehrmals damit gedroht, den Konflikt aus dem Südosten des Landes in die westlichen Metropolen zu tragen.

Schwere Kämpfe in Südostanatolien

In Südostanatolien toben unterdessen Kämpfe zwischen der kurdischen Rebellengruppe PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Gleichzeitig laufen in Brüssel die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, bei denen Deutschland eine führende Rolle spielt und die die internationale Rolle der türkischen Regierung aufwerten.

Seit dem Anschlag vom Sonntag hat es in mehreren türkischen Städten Warnungen vor neuen Gewalttaten gegeben. In Istanbul sperrte die Polizei wegen eines abgestellten Fahrzeugs eine der Autobahnbrücken über den Bosporus; wie sich herausstellte, war dem Wagen das Benzin ausgegangen. Im Internet kursieren Listen mit den Nummernschildern angeblicher Bombenfahrzeuge. Die Polizei rief die Bürger dazu auf, Gerüchten nicht zu glauben. Dennoch blieben diese Woche nach Presseberichten einige normalerweise belebte Plätze und Straßen in Städten wie Ankara und dem westanatolischen Afyonkarahisar leer.

Eine Deeskalation des Kurdenkonflikts erscheint derzeit ausgeschlossen, vielmehr erhöht die Regierung weiter den Druck auf ihre Kritiker. So wurde am Donnerstag ein hochrangiger Kurdenpolitiker verhaftet. Gleichzeitig fordert Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Ausweitung der juristischen Definition des Terrorbegriffs, um auch gewaltlose Aktionen sowie Meinungsäußerungen verfolgen zu können.

Akkreditierungen verweigert

Den Druck bekommen auch ausländische Journalisten und Wissenschaftler in der Türkei zu spüren. Der Korrespondent des „Spiegel“, Hasnain Kazim, verließ das Land, nachdem er mehrere Monate vergeblich auf die Neuakkreditierung durch das türkische Presseamt gewartet hatte. Auch der Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, berichtet wegen einer verweigerten Akkreditierung nicht mehr aus der Türkei selbst. Auch andere deutsche Reporter hatten Probleme bei der Neuakkreditierung.

In den vergangenen Monaten hatte sich unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich bei dem türkischen Ministerpräsidenten, Ahmet Davutoğlu, für die deutschen Journalisten in der Türkei eingesetzt. Davutoğlu sagte eine Akkreditierung der Reporter zu, doch erhielten einige Berichterstatter trotz dieser Zusicherung keine Pressekarte. Auch einer norwegischen Reporterin wurde die Akkreditierung „aus Sicherheitsgründen“ verweigert. Eine niederländische Journalisten wurde im vergangenen Jahr wegen des Vorwurfs der PKK-Propaganda aus der Türkei abgeschoben.

Auch der britische Akademiker Chris Stephenson, der mehr als 20 Jahre lang in Istanbul lebte und an der angesehenen Bilgi-Universität in der Stadt lehrte, wurde jetzt wegen angeblicher Propaganda für die PKK aus dem Land geworfen. Die türkische Justiz geht derzeit gegen eine Gruppe von Akademikern vor, die in einem gemeinsamen Aufruf gegen das Vorgehen des Staates im Kurdengebiet protestiert hat. Drei der Beschuldigten wurden wegen der Verlesung einer Presseerklärung zu dem Thema in Haft genommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2016)

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