Der Westen ignoriert die Mankos Montenegros

Montenegro´s PM Djukanovic attends a NATO foreign ministers meeting in Brussels
Montenegro´s PM Djukanovic attends a NATO foreign ministers meeting in Brussels(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Der zerrissene Balkanstaat feiert trotz russischer Bedenken die Aufnahme in die Nato, auch die EU hat ihre Arme weit geöffnet. Zu Recht?

Belgrad/Podgorica. Montenegro verankert sich im Westen. Am Donnerstag besiegelten die 28 Außenminister der Nato-Mitgliedstaaten trotz Moskauer Bedenken die Aufnahme des kleinen Adriastaates und unterzeichneten das Beitrittsprotokoll. Auch am Samstag sind warme Worte aus Brüssel garantiert. Zu den Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Geburtsstunde des unabhängigen Montenegro wird am Samstag eigens EU-Ratspräsident Donald Tusk ins beschauliche Podgorica reisen. Doch wie vor dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum 2006 wird auch das Jubiläum von heftigen Kontroversen überschattet. Zehn Jahre nach dem Ausscheren aus dem Staatenbund mit Serbien bleibt der von Korruption und Clanwirtschaft geplagte Adriastaat ein zerrissenes Land.

Mit einer Punktlandung hatte der seit 1991 mit kurzen Unterbrechungen amtierende Dauerpremier Milo Djukanović bei der Volksbefragung am 21. Mai 2006 das rund 600.000 Einwohner zählende Land in die Unabhängigkeit gelotst. Mit 55,5 Prozent lag der Anteil der Befürworter knapp über den erforderlichen 55 Prozent der Stimmen: Wie jedem Urnengang in dem Küstenstaat haftete auch dem damals von der EU umgehend anerkannten Referendum der zweifelhafte Geruch von Wahlmanipulation an.

Die von Djukanović und seiner DPS forcierte Eigenstaatlichkeit und EU-Ausrichtung ist zwar selbst bei der Opposition und der starken serbischen Minderheit mittlerweile kaum mehr umstritten. Es ist der steinreiche Regierungschef, an dem sich die Geister scheiden. „Milo, du Dieb“, skandierten vergangene Woche die Abgeordneten der oppositionellen Demokratischen Front, als der Premier sein neues Kabinett vorstellen wollte. „Bravo, ihr Idioten“, kommentierte Djukanović, bevor er genervt vorzeitig das Rednerpult räumte. Am Donnerstag konnte seine neue, auf Druck der EU zustande gekommene Übergangsregierung endlich bestätigt werden: Mit mehreren Ministern aus den Reihen der gespaltenen Opposition soll diese im Herbst erstmals die Durchführung fairer Wahlen ermöglichen. Doch auch wenn Brüssel den Ränkeschmied zum vermeintlichen Reformkurs nötigt, sitzt die Skepsis tief. „Das Problem Montenegros ist eine Demokratie, in der alles in der Hand eines Mannes ist“, sagt Ex-Parlamentspräsident Ranko Krivokapić von der aus der Regierung ausgeschiedenen SDP.

Der größte Erfolg der Unabhängigkeit Montenegros sei die Tatsache, dass „Djukanović noch immer in Freiheit ist, und unsere Mafia die Kriegsjahre bis heute unbeschadet überdauert hat“, konstatiert ein Geschäftsmann bitter. „Gleichzeitig hat er uns in zehn Jahren bis über den Hals verschuldet.“

Mekka für Glücksritter

Tatsächlich hält der Westen schon seit den Zeiten von Serbiens Ex-Autokraten Slobodan Milosević die schützende Hand über Montenegros geschäftstüchtigen Vormann: Alle Ermittlungen wegen Verdachts des staatlich organisierten Zigarettenschmuggels in den 1990er-Jahren haben westliche Justizbehörden mittlerweile eingestellt. Zwar hat die EU bei Montenegros 2012 begonnenem Beitrittsmarathon bereits 20 von 33 Verhandlungskapiteln eröffnet. Doch noch immer genießt das Land den Ruf eines Mekkas für fragwürdige Glücksritter, Geldwäscher und Drogenbarone. Das triste Bild wurde in dieser Woche durch ein spektakuläres Schuldgeständnis bestätigt. Er sei der Chef einer kriminellen Vereinigung zur Unterschlagung von 20 Millionen Euro aus der kommunalen Kasse von Budva gewesen, gab der vor fünf Monaten verhaftete und nach seinem Bekenntnis vorläufig freigelassene stellvertretende DPS-Chef, Svetozar Marović, offen zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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