Lob der Betriebskantine in der Postmoderne

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In Washington kann man täglich zur Mittagszeit Kolonnen von Food Trucks an den Parks und Plätzen der Stadt sehen.

Der Food Truck, ein je nach Zielgruppe mehr oder weniger überteuerter Würstelstand auf Rädern, scheint für jene jungen Leute von heute, die ihren konsumbezogenen Kosmopolitismus unter Schwersteinsatz von Instagram und Snapchat zu beweisen ersehen, jene große Freiheit zu verheißen, die Kinder der Achtzigerjahre mit der Einkehr bei McDonald's verbanden.

Hier in Washington kann man täglich zur Mittagszeit Kolonnen von Food Trucks an den Parks und Plätzen der Stadt sehen. Die werktätigen Massen aus den umliegenden PR-Agenturen, Banken, Anwaltsfirmen und Immobilienagenturen versorgen sich dort mit ihrem Luncheon, den sie dann mit Plastikbesteck aus Styroporbehältern hastig in sich hinein schaufeln, stets das Telefon in der freien Hand. Das Phänomen der Food Trucks kann man nur verstehen, wenn man den gleichzeitigen Abstieg der Betriebskantinen im Auge behält. Welche Firma will heute schon in einen Küchenbetrieb investieren, um ihren Mitarbeitern kostengünstiges und nahrhaftes Mittagessen zu ermöglichen? Und welcher kleine Falafelkoch oder Burgerbrater hat die finanziellen Mittel, ein Gasthaus in den Spitzenlagen auch unserer europäischen Städte zu eröffnen?

Ich bin ein großer Anhänger der Kantine. Wenn ich an meine Jahre als Korrespondent in Brüssel zurückdenke, dann verursacht mir die Erinnerung an den täglichen Besuch der Kantine im Hauptgebäude der Europäischen Kommission ein Gefühl sehnsüchtiger Vertrautheit. Die stets gleiche Auswahl an Speisen, natürlich nicht eines Michelinsterns würdig, aber schmackhaft und preiswert; Steak frites oder doch die Lasagne; das Ritualistische des Schlangestehens mit den stets gleichen Menschen; das Schmähführen mit den Kollegen: banale Erinnerungen, für die ich mich gern auslachen lasse. Doch der kleine Schokoriegel der Marke Côte d'Or, der mir den Espresso danach versüßte, ehe es zurück an die Arbeit ging, ist mir heute noch das, was Marcel Proust unter anderen Umständen die Madeleines waren.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2016)

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