Flexibles Denken will gelernt sein

Wie Kinder die Welt sehen, ist von der Entwicklung ihres Gehirns abhängig.

„Für kleine Kinder ist die Welt so, wie sie sie sehen“, sagt Daniela Kloo, Psychologin an der Uni Salzburg. Denn die Hirnregionen, die es Menschen ermöglichen, Sichtweisen anderer zu verstehen, reifen erst ab einem bestimmten Alter: „Mit etwa vier Jahren können Denkweisen flexibel werden.“ Durch bildgebende Studien an Erwachsenen (mit Hilfe von funktionellem Magnetresonanz-Imaging, fMRI) weiß man, welche Hirnregionen bei der kognitiven Flexibilität aktiv sind: Es sind z. B. jene im „temporo-parietalen Übergang“ (TPJ). Daniela Kloos Ansatz, das flexible Denken zu untersuchen („Wie man Probleme unter einem anderen Gesichtspunkt sehen kann“), macht sich bildgebende Studien zunutze und überträgt die Ergebnisse auf die Entwicklungspsychologie.

Die TPJ-Regionen sind aktiv, wenn Menschen sich in andere hineinversetzen, wenn sie von einer Denkart auf eine andere umschwenken oder wenn sie ihre Aufmerksamkeit umlenken. Daher studiert Kloo nun das Verhalten von Kindern bei diesen Aufgaben: Wenn die drei Fähigkeiten bei Kindern zugleich einen Entwicklungsschub erfahren, wäre das ein Hinweis, dass sich der Fähigkeitenkomplex gemeinsam entwickelt, der Grundmechanismus für flexibles Denken ähnlich angelegt ist.


Kindergartenspiele. Es sind Spiele, die Kloo in Kindergärten mit Drei- bis Fünfjährigen durchführt: In der „False-Belief-Geschichte“ erzählt man, dass der Hansi eine Schokolade in die blaue Schublade legt. Dann geht er weg, seine Mutter legt die Schokolade in die grüne Lade. Schließlich die Frage an die Kinder: „Wo wird Hansi die Schokolade suchen?“ Die unter Vierjährigen sind überzeugt, dass er in der grünen Lade suchen wird. Sie können sich noch nicht in Hansis Sichtweise hineinversetzen, der ja nicht weiß, dass seine Mutter etwas verändert hat. Die zweite Aufgabe des flexiblen Denkens testet Kloo anhand des „Kartensortierspieles“: Zuerst müssen grüne und rote Äpfel und Bananen nach Farbe sortiert werden. Danach sollen die Kinder die Karten nach der Form sortieren, also Apfel zu Apfel, egal ob rot oder grün. „Die Jüngeren sortieren weiterhin rot zu rot, ohne auf die Form zu achten“, sagt Kloo. Denn sie können nicht flexibel von einer Aufgabe zur anderen wechseln. Diese beiden Aufgaben zur Flexibilität des Denkens hängen in der Entwicklung anscheinend zusammen. Kloo will nun wissen, ob auch die Umlenkung von Aufmerksamkeit zur gleichen Zeit einen Entwicklungsschub erfährt wie das Sichhineinversetzen und das Umdenken bei der Sortieraufgabe.

„Unser Spiel wird am Computer gespielt. Die Kinder müssen einen Tiger fangen, der links oder rechts auftaucht. Ein Tweety kündigt den Kindern an, wo der Tiger sein wird. Manchmal lassen wir den Tweety aber auf der falschen Seite erscheinen. Dann messen wir, wie lange die Kinder brauchen, um die Aufmerksamkeit zur richtigen Seite umzulenken.“ Zeigt sich in der Auswertung, dass Kinder mit vier Jahren einen „konzeptuellen Sprung“ durchmachen, bei dem alle Fähigkeiten zum flexiblen Denken plötzlich ansteigen, würde das die These der Salzburger Psychologen unterstützen, dass die TPJ-Region entscheidend für die Entwicklung des flexiblen Denkens ist.


Autistische Kinder. „Derzeit suchen wir noch nach autistischen Kindern für eine unserer Studien“, sagt Kloo. In Trainingsstudien soll getestet werden, ob ein Flexibilitätstraining mit einer der Aufgaben zu Steigerungen bei den anderen beiträgt. Eltern von Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung, die an der Trainingsstudie interessiert sind, können sich per E-Mail (daniela.kloo@sbg.ac.at) an die Forscherin wenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.