Apple lässt die Deckung fallen

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Apple gehen die Innovationen aus. Also durchbricht Tim Cook ein ehernes Gesetz des Konzerns und öffnet die Tür zur Apple-Welt erstmals auch für Dritte. Es ist ein kalkuliertes Risiko.

San Francisco. Apple liebt Kontrolle. Apple entscheidet, welche Programme auf dem iPhone laufen dürfen, welche Schriftarten es hier gibt und welche Geräte das eigene Betriebssystem verwenden dürfen. Ausschließlich Apple-Geräte, versteht sich. Und diese wiederum kommunizieren am liebsten (und besten) exklusiv mit anderen Produkten mit dem schicken Apfel-Logo. Wer mit Apple-Nutzern ins Geschäft kommen wollte, musste den Umweg über die Zentrale in Cupertino gehen. Wer hier nicht überzeugen konnte oder sich an den Bedingungen stieß, musste draußen bleiben.

Diese Abschottung erfüllte zwei Zwecke sehr gut: Das hohe Maß an Kontrolle machte Apples Geräte und Betriebssysteme besonders sicher und stabil. Und die Apple-Nutzer ließen einen Großteil ihres Budgets für derartige Produkte bei Apple. Sei es aus Überzeugung, Bequemlichkeit – oder aus Mangel an Alternativen. Diese Strategie katapultierte das Unternehmen binnen weniger Jahre an die Spitze der wertvollsten börsenotierten Konzerne der Welt.

Apple öffnet sich

Doch seit Dienstag ist es damit vorbei. Auf der jährlichen Entwicklerkonferenz von Apple, der Worldwide Developer Conference, hielt Apple-Chef Tim Cook diesmal kein neues iPhone, keine Uhr und kein Auto in die Kameras. Echte Innovationen aus dem Hause Apple blieben auch an diesem Tag Mangelware. Dafür brach der Nachfolger von Steve Jobs ein ehernes Gesetz des Konzerns und öffnete Teile von Apple für die Außenwelt.

Der Sprachassistent Siri, Apple Maps und der Nachrichtendienst iMessenger werden künftig auch Schnittstellen für unabhängige Programmierer haben. Erstmals wird es iPhone-Nutzern also möglich sein, ein Uber-Taxi via Siri zu rufen, Essen zu bestellen, ohne die Messenger App zu verlassen oder Reservierungen direkt in Apple Maps vorzunehmen.

Das klingt nicht besonders aufregend. Bei Google, Amazon oder Facebook gibt es derartige Dienste längst. In der Apple-Welt, deren Erfolg darauf aufbaut, einen exklusiven Kreis an gut verdienenden Kunden möglichst eng an das Unternehmen zu binden, ist es eine kleine Revolution – und ein Risiko.

Warum also wagt das Unternehmen diese strategische Kehrtwende? Eine Antwort auf diese Frage liefert der Kapitalmarkt: Trotz hoher Profite und gigantischer Barreserven entwickelt sich der Kurs der Apple-Aktie seit Monaten nach unten. Kürzlich löste Google Apple als teuerstes Unternehmen ab. Es ist die sinkende Nachfrage nach iPhones, die Investoren und Analysten Sorgen bereitet. Vor allem aber ist es die nachlassende Innovationskraft im Konzern. Ob Apple Watch oder Apple Music – keines der neueren Produkte konnte die Erwartungen erfüllen.

Google wirft seine Haken aus

Also ist Apple nun offenbar bereit, seinen größten Schatz zu teilen: zig Millionen an Kunden. Sie haben aktuell rund eine Milliarde Apple-Geräte in Betrieb und gelten im Schnitt als besser situiert und konsumfreudiger als Android-Nutzer. Die Entwickler werden sich also nicht lang bitten lassen, um diesen Nutzern neue Services via Siri, Apple Maps oder iMessenger zu verkaufen. Gängige Alternativprodukte wie etwa Google Maps sind unter iPhone-Nutzern deutlich weniger verbreitet. Nicht nur kleine Programmierer, sondern auch große Rivalen wie Google und Facebook werden also die Chance nutzen, ihre Haken tief in die Apple-Welt zu schlagen.

Geld statt Kontrolle

Genau hier liegt die große Gefahr für Apple. Wenn es einem neuen Anbieter gelingt, schrittweise die vorinstallierte Apple-Software zu ersetzen und die Nutzer aus der Apple-Welt zu lotsen, verliert der iPhone-Macher auch einen Großteil seiner Einnahmen.

Doch es ist ein kalkuliertes Risiko, das Tim Cook hier eingeht. Über Nacht hat er zwei Millionen zusätzliche Entwickler, die sich daranmachen werden, aus den Apple-Nutzern noch etwas Geld zu holen. Schneidet der Konzern hier ähnlich stark mit, wie beim App Store, muss man sich um das Wachstum von Apples Cash-Berg vorerst keine Sorgen machen.

AUF EINEN BLICK

Apple öffnet sich. Auf der Worldwide Developer Conference in San Francisco verkündete das Unternehmen eine Kehrtwende in der Strategie: Erstmals dürfen auch Dritte Apple-Nutzern direkt über Siri, Apple Maps oder iMessenger neue Dienste anbieten.

Die Neuausrichtung kommt zu einer Zeit, zu der Apple trotz starker Profite zusehends unter Druck gerät. Die Kasse stimmt, aber Innovationen bleiben aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2016)

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