Doping: Kollektivstrafe oder individuelles Recht

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FILES-ATHLETICS-DOPING-CORRUPTION-RUS-IAAF-GERMANY(c) APA/AFP/VASILY MAXIMOV
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Am Freitag trifft der Weltverband in Wien die Entscheidung, ob Russlands Athleten bei Olympia in Rio starten dürfen. IAAF-Präsident Sebastian Coe sagt: „Werden Anti-Doping-Kriterien nicht erfüllt, ist Russland nicht dabei.“

Wien. Die Sportwelt blickt diese Woche nach Wien, am Freitag wird es spannend: Hat der Leichtathletik-Weltverband IAAF die Courage, Russlands Athleten von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro auszuschließen oder findet sich entgegen aller Erwartungen doch ein Schlupfloch; etwa mit drei bestandenen Zielkontrollen? Ist es auch moralisch vertretbar, eine ganze Sparte zu sperren, wenn es doch (hoffentlich) saubere Sportler geben muss, die niemals positive Dopingtests abgeliefert haben?

Für IAAF-Präsident Sebastian Coe ist die Entscheidung über diesen halb-historischen Schritt – ein paar ÖSV-Langläufer und ein Trainer wurden nach Blutbeuteln in Salt Lake City 2002 und der Razzia in Turin 2006 gesperrt – der „Come to Jesus“-Moment. Vor diesem „Augenblick der Erleuchtung“ am Freitag wird Coe mit 26 Councilmitgliedern im Ballraum Quadrille des Wiener Grand Hotels das Ja oder Nein zur Aufhebung der seit 13. November bestehenden Suspendierung der Sportmacht höchst sorgfältig abwägen.

323 Seiten: Beweise für Betrug

Grundlage ist der Lagebericht der IAAF-Taskforce unter der Leitung des Norwegers Rune Andersen, die die Reformfortschritte nach Aufdeckung des flächendeckenden Dopings in Russlands Leichtathletik überwacht. „Daily Mail“ zitiert Coe so, da gibt es keinen Spielraum: „Wenn Russland die Kriterien nicht erfüllt, ist es in Rio nicht dabei.“

Seit der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“ vom 3. Dezember 2014 steht das Land am Pranger. Zumal eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur in einem 323-seitigen Report Beweise für den großen Betrug nachlieferte. Die Suspendierung der russischen Anti-Doping-Agentur und des Moskauer Labors waren die Folge.

Russlands Sportminister Witali Mutko („Wir haben alles getan, damit die Sperre aufgehoben wird“) unternahm alles, um den Bann zu verhindern. So wurde akzeptiert, dass Briten die Dopingtests bei Russen vornehmen, und dass der Experte Peter Nicholson im Wada-Auftrag den Wiederaufbau des Anti-Doping-Systems überwachen darf. Außerdem wurden zig Trainer und Funktionäre gesperrt, ausgetauscht oder gefeuert – es gibt aber weiterhin Bedenken.

In den vergangenen Monaten verging kaum ein Tag ohne Doping-Nachrichten über Russland. Ob Meldonium, die Nachtests der Spiele 2008 und 2012 oder der WADA-Statistik der Doping-Fälle für 2014: Russlands Athleten sind immer ganz weit vorn gewesen mit positiven Tests. Außerdem läuft eine Untersuchung zum Vorwurf, Russland habe 2014 im Kontrolllabor von Sotschi mit Hilfe des Geheimdienstes positive Proben eigener Athleten verschwinden lassen. Bis zum 15. Juli will die WADA die Ergebnisse der Ermittlungen dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) präsentieren.

Sollten sich die Vorwürfe erhärten, muss auch das IOC, wie die IAAF, zwischen Kollektivstrafe und individuellem Recht befinden. Ein Komplettauschluss mutet schwierig an, für die Sportwelt scheint er jedoch opportun. „Im Gegenteil“, argumentiert etwa Dagmar Freitag, die DLV-Vizepräsidentin. Ein Ausschluss russischer Leichtathleten wäre für sie ein Signal. Eines, dass „wir über die Zeit der Lippenbekenntnisse hinaus sind“.

Egal, wie geurteilt wird, es wird definitiv Klagen geben. Russland wird gegen die (drohende) Sperre berufen und vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) ziehen. Sollte das IAAF-Council für einen Rio-Start Russlands votieren, wird die Welt-Anti-Doping-Agentur vor den CAS ziehen. (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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