Doskozil: "400 Kilometer langen Zaun verhindern"

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil
Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Christian Ort)
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Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) will österreichische Soldaten an den Grenzzaun in Ungarn schicken. Dafür soll das Nachbarland Flüchtlinge zurücknehmen.

Die Regierung hat sich auf eine Zählweise geeinigt: Statt Asylanträgen sind für die Obergrenze nun Asylverfahren relevant, die Dublin-Verfahren, bei denen ein anderer Staat zuständig sein könnte, hingegen nicht. Ist das ein ehrlicher Zugang?

Hans Peter Doskozil: Ja. Ein Beispiel: Wenn das Dublin-Verfahren eines Flüchtlings zeigt, dass Italien statt Österreich für das Asylverfahren zuständig ist, dann wird die Person in das Nachbarland zurückgeführt. Dann wird das Verfahren nicht in Österreich geführt.

Das ist aber die Ausnahme. Viele Länder nehmen die Menschen nicht zurück. Auf lange Sicht bleiben sie in Österreich. Bei Ungarn sind das rund 4300 Fälle.

Ich würde Ihnen recht geben, wenn ich definitiv wüsste, dass Ungarn bis zum Ende des Jahres keine Dublin-Rückführungen übernimmt. Ich arbeite aber daran, dass es eine Lösung geben wird.

Ungarn hat aber bis zuletzt gesagt, dass es auf keinen Fall Flüchtlinge aus Wien übernehmen will.

Ohne Ungarn wird es keine Lösung in der Asylpolitik geben. Man muss auf Budapest zugehen und ausloten, wozu die Ungarn bereit sind. Wenn beispielsweise der Außengrenzschutz auf EU-Ebene nicht funktioniert, dann muss man es eben bilateral angehen.

Werden also Bundesheersoldaten an der ungarisch-serbischen Grenze stehen?

Ungarn ist jedenfalls bereit, über eine gemeinsame Sicherung der Grenze auf ungarischem Gebiet zu sprechen. Das ist ein wichtiger Aspekt: Schließlich handelt es sich um eine Schengen-Außengrenze. Es liegt auch in unserem Interesse, dass sie geschützt wird. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit den Ungarn sollen die Details nun festgelegt werden. Zusammen mit der Exekutive könnten auch österreichische Soldaten die Ungarn bei der Grenzsicherung unterstützen.

Das heißt aber auch, sie würden am viel kritisierten Grenzzaun stehen.

Das heißt es, ja. Aber man muss es im Kontext betrachten: Wir erwarten uns, dass es ein Rücknahmeabkommen mit Ungarn gibt, auch was Abschiebungen betrifft. Nur dann ergibt es Sinn.

Was, wenn sich Ungarn trotz allem weigert?

Wir merken, dass die Fluchtroute über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich immer stärker genutzt wird. Wir beurteilen laufend, wann der Zeitpunkt gekommen ist, die Notverordnung zu erlassen (Österreich nimmt dann keine Asylanträge mehr an, Anm.). Das können wir aber nur tun, wenn wir in der Lage sind, Menschen rückzuführen.

Und wenn Österreich das eben nicht ist?

Wenn es kein Miteinander gibt, kann sich die Situation zuspitzen. Dann würden politische Stimmen lauter werden, die sagen: Wir müssen einen Zaun zu Ungarn bauen. Das wäre aber nicht ein Zaun wie in Spielfeld. Die Grenze zu Ungarn ist 400 Kilometer lang. Was das bedeuten würde, kann jeder selbst beurteilen. Das muss man verhindern. Dafür muss man Ungarn ins Boot holen.

Es soll einen 400-Kilometer-Zaun geben?

Wenn wir einfach zusehen, wie die illegale Schlepperei über die Balkanroute nach Österreich weiter zunimmt, und wenn die Notverordnung erlassen wird, sie aber praktisch nicht greift, dann könnte er im Worst Case entstehen. Das will ich nicht, deshalb müssen wir den Weg der regionalen Zusammenarbeit mit Ungarn beschreiten.

Dieser Zaun wäre eine absolute Trendumkehr in der österreichischen Asylpolitik.

Noch einmal: Ich will diesen Zaun nicht. Ich will ihn verhindern. Man kann nicht sehenden Auges in diese Richtung gehen. Deswegen ist die Einigung mit Ungarn so wichtig.

Wie viele Soldaten bieten Sie Ungarn an?

Da muss man behutsam sein und das mit Ungarn in einer zweiten Phase besprechen. Es sind noch viele Aspekte offen. Und es muss natürlich auch rechtlich einwandfrei gedeckt sein.

Auf welcher rechtlichen Basis würde sich dieser Einsatz bewegen?

Den rechtlichen Rahmen beurteilen wir derzeit. Wir können nicht als Bundesheer isoliert in Ungarn tätig sein. Wir brauchen die Kräfte des Innenministeriums. Möglich wäre beispielsweise ein Entsendegesetz, in dessen Rahmen wir mit der Exekutive partizipieren.

Welche Kompetenzen hätten die Soldaten?

Auch das ist noch offen. Das ist auch eine Frage, die mit dem Innenministerium zu klären ist.

Zur Heeresreform: Sie haben angekündigt, dass es in Zukunft weniger Zeitsoldaten geben soll und dass Sie langfristige Karrieren anbieten wollen. So wird aber das Problem der Überalterung der Truppe verschärft.

Wir stellen erstmals seit 38 Jahren drei neue Verbände auf. Das Heer wird bei der Truppe personell aufwachsen. Um die Rekrutierung bewältigen zu können, müssen wir als Arbeitgeber attraktiver werden. Dafür möchten wir ein flexibleres Karrieremodell anbieten, bei dem für Soldaten in einem gewissen Alter ein Wechsel in andere Bereiche des Heeres möglich ist. Wir müssen genauso attraktiv sein wie die Exekutive.

Als Attraktivitätsmaßnahme waren auch höhere Einstiegsgehälter im Gespräch.

Ja, das ist ein Thema. Die Bereiche Unteroffizier 1 und Unteroffizier 2 wollen wir zusammenlegen. Damit fällt das unterste Gehaltssegment weg. Aber wir klaffen immer noch zu weit auseinander, wenn man einen fertig ausgebildeten Soldaten mit einem Unteroffizier vergleicht.

Wie viel Geld soll es also zusätzlich geben?

Das öffentlich zu sagen wäre jetzt verwegen. Wir sind in Gesprächen mit dem Bundeskanzleramt, das für das Personal zuständig ist.

Wie stehen Sie zur Nacheile? Ihr Vorgänger Gerald Klug hat darüber nachgedacht, es aber letztlich abgelehnt: Abfangjäger eines Nachbaarstaats könnten unidentifizierte Flieger, die sie in ihrem Luftraum eskortieren, auch über Österreich begleiten.

Damit setzen wir uns derzeit auseinander, vor allem im Verhältnis zur Schweiz. Nimmt man die aktive Luftraumüberwachung ernst, braucht man die Nacheile unbedingt. Sonst hat man ein Zeitfenster, in dem es keine aktive Luftraumüberwachung (durch Abfangjäger, Anm.) gibt.

Sie kandidieren am Samstag beim SPÖ-Parteitag als Vizeparteichef – statt Burgenlands Landeshauptmann, Hans Niessl. Er will damit Ihre Rolle als „Vertreter der pragmatischen Flüchtlingspolitik“ stärken. Ist sie im neuen Regierungsteam gefährdet?

Nein. Es ist wichtig, die Flüchtlingspolitik an den realen Verhältnissen im Land zu messen. Diese Position ist sicher nicht gefährdet.

Niessl sieht das vielleicht anders. Einige in der SPÖ sind skeptisch gegenüber der Obergrenze, Staatssekretärin Muna Duzdar zum Beispiel. Sollen Sie ein Gegengewicht sein?

Solche Begriffe stören mich. Da schwingt immer der Gedanke „linker Flügel gegen rechter Flügel“ mit. Die SPÖ bildet ein breites Spektrum ab. Das kann man positiv sehen: Es belebt die Entwicklung der Partei. Aber natürlich ist Hans Niessl ein Vertreter eines sehr realistischen Zugangs in dieser Frage.

Im Umkehrschluss bedeutet das: Die anderen Zugänge sind unrealistisch.

So würde ich das nicht beurteilen, das ist zugespitzt. Es geht um die Frage: Wie bereitet man sich auf bestimmte Szenarien vor? Kalkuliert man Worst-Case-Szenarien in die Politik mit ein? Hier gibt es unterschiedliche Zugänge.

Zuletzt sagten Sie, Sie rechnen am Parteitag mit „unterschiedlichen Ergebnissen“ bei der Wahl. Fürchten Sie ein schlechtes Ergebnis?

Überhaupt nicht. Ich orte sehr viel Zustimmung für meinen sachlichen Zugang. Wenn man eine bestimmte Position vertritt, stößt man nicht nur auf Zustimmung. Dann kann es sein, dass man Streichungen kriegt.

Mehr Streichungen als andere Kandidaten?

Man kann es nicht jedem recht machen. Es gibt sicher auch Delegierte, die mit meinem realistischen Zugang nichts anfangen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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