Ein Bruderzwist im Hause Europa

Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm leuchtet die Hintergründe und den Ablauf der Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 aus.

Eine geradezu tektonische Spannung hatte sich nach 1860 in Mitteleuropa aufgebaut, ein Missverhältnis von politischer Ordnung und innerer Stärke der maßgeblichen Staaten, Österreich und Preußen. Hier die alten Vorstellungen von der Hegemonie des Habsburgerhauses über ganz Deutschland, dort das gefestigte, dynamische, ökonomisch potente Hohenzollernland, das offenbar die Führung in einem neuen Nationalstaat, einem zentralistischen Deutschen Reich, plante. Eine Teilung der Machtsphären? Kam für Wien nicht infrage. Dazwischen lavierten die deutschen Mittelstaaten herum, in ihrem Souveränitätswahn waren die Fürsten nicht imstande, sich auf einen föderalen Bundesstaat nach dem Muster etwa der Schweizer Eidgenossenschaft zu einigen. Alle merkten: Österreich kam mit der rasanten Entwicklung von Industrie und Technik nicht so gut zurecht wie Preußen, die Ökonomie sprach also für Berlin als deutsche Hegemonialmacht. Einer hatte einen Plan: Die Einigung Deutschlands würde nicht durch Beratungen gelingen, sondern „mit Blut und Eisen“. Es war Preußens Ministerpräsident Otto von Bismarck. Also sollten die Armeen entscheiden. Im Juni 1866 war es so weit.

Die Sache wurde im Preußisch-österreichischen Krieg entschieden. Österreich musste an zwei Fronten kämpfen, da Italien als Bismarcks Verbündeter auftrat, und war militärisch der preußischen Armee eklatant unterlegen: In der Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 wurde es gedemütigt, im Friedensschluss aus Deutschland hinausgedrängt. Keine großdeutsche Lösung mit dem Habsburgerstaat also, sondern eine kleindeutsche. Österreich war im Innersten erschüttert, nicht nur weil es militärisch versagt hatte, auch weil es sich gleichsam politisch amputiert fühlte. Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Vielvölkerstaates wurden laut. Dieser „deutsche Bruderkrieg“ vor 150 Jahren hat die Entwicklung des Kontinents, die Deutschlands ohnehin, entscheidend beeinflusst. Erstaunlich daher, dass der Buchmarkt, der auf historische Jubiläen zuletzt wiederholt mit einer kaum zu bewältigenden Fülle an Publikationen reagierte, diesmal untypische Zurückhaltung zeigt. Die Ausnahme: Klaus-Jürgen Bremm, Militärhistoriker an der Universität Osnabrück, der zuletzt mit einer detailreichen Schlachtenmonografie („Waterloo 1815“) aufgefallen ist.

Gleich vorweg sei es gesagt: Bremm ist Militärspezialist; hat man keine Lust, sich in die strategischen Künste des preußischen Feldherrn Moltke zu vertiefen, sich auf die Bewaffnung der Armeen, etwa die Unterschiede zwischen preußischem Zündnadel-Hinterlader-Gewehr und veraltetem österreichischem Vorderlader, den Einsatz damalsrevolutionärer Technologien wie der Telegrafie, kurzum auf alle Finessen des mehrwöchigen Feldzugs einzulassen, muss man wohl mehr als 100 Seiten überschlagen. Es bleiben aber immer noch die überaus spannenden Kapitel über die Vorgeschichte und die Nachwirkung dieses Konflikts.

Bismarcks Weg in den Krieg war nach Bremm alles andere als geradlinig, er war staatsmännisch genug, auch an anderen Optionen zu arbeiten, letztlich wurde es aber Bismarcks Krieg, und er hat nach Meinung vieler Historiker damit die Büchse der Pandora geöffnet, aus der dann die Übel des nationalstaatlichen Denkens ausgespien wurden. Plötzlich war das Werk des „Eisernen Kanzlers“ zu einer nationalen Verirrung mutiert, zum fatalen Beginn eines deutschen Sonderwegs, der geradezu zum Gegenentwurf zur politischen Kultur des Westens wurde. Bremm schließt sich einer anderen Richtung an: Der Krieg von 1866 beschleunigte nur eine ohnehin unausweichliche Entwicklung, die großdeutsche Lösung hätte das Risiko eines großen europäischen Krieges bedeutet, den Bismarck unbedingt vermeiden wollte. Preußens Kanzler sei zwar Machtpolitiker, aber kein deutschtümelnder Nationalist gewesen. Bremm weiter: Warum hätte Deutschland auf seinen Nationalstaat verzichten sollen, einer „politischen Organisationsform, die halbwegs stabile und ausgewogene Sozialordnungen hervorzubringen und mit demokratischen Mitteln zu bewahren“ imstande war? Und er schließt: „Ob dies auch der Europäischen Union mit ihrer von Krisen geschüttelten Währung gelingen wird, steht noch in den Sternen.“ ■

Klaus-Jürgen Bremm

1866

Bismarcks Krieg gegen die Habsburger. 312 S., 22 SW-Abb., 6 Ktn., geb., € 25,70 (Theiss Verlag, Darmstadt)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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So etwas hatte es noch nicht gegeben: Eine Nation will die Einheit, und erreicht dies, indem sie einen großen Teil ihres Gebietes und ihrer Bevölkerung gewaltsam hinausdrängt. So geschah es am 3. Juli 1866, als Preußen in der Schlacht bei Königgrätz Österreich demütigte.

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