Island: Ein Professor als Retter der Politik

Guđni Jóhannesson
Guđni Jóhannesson(c) APA/AFP/HALLDOR KOLBEINS
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Der Historiker Guđni Jóhannesson gewann die Präsidentenwahl mit klarem Vorsprung. Selbst bei der Fußball-EM in Frankreich wurde eine Urne aufgestellt.

Reykjavik. Island mag am Samstag zwar einen neuen Präsidenten gewählt haben, aber das Interesse am Ergebnis schien vergleichsweise marginal zu sein. Viel eher feiert die Insel derzeit die Fußballsensation in Frankreich; am heutigen Montag wird die isländische Mannschaft in Nizza gegen England antreten. Mit dabei, quasi als erste inoffizielle Amtshandlung: der neu gewählte Präsident und ebenfalls euphorische Fußballfan, Guđni Jóhannesson.

Der parteilose Geschichtsprofessor hat laut vorläufigem Ergebnis 37,9 Prozent der Stimmen erhalten. In Island genügt eine einfache Mehrheit für den Sieg. Die Unternehmerin Halla Tómasdóttir, die Jóhannessons einzige ernst zu nehmende Konkurrenz war, erhielt 29,9 Prozent. Die weiteren sieben Kandidaten lagen abgeschlagen hinter den beiden. Jóhannesson ist ohnehin als Favorit in die Wahl gegangen, die meisten Insulaner kennen den als bodenständig bekannten Mann aus dem Fernsehen. Immer wieder wird er als Experte eingeladen, das aktuelle politische Geschehen zu kommentieren. In die Politik selbst habe er eigentlich nie gehen wollen, so Jóhannesson. Die Nachrichten rund um die Panama-Papers stimmten ihn um; so soll unter anderem Regierungschef Sigmundur Davíđ Gunnlaugsson eine Briefkastenfirma im Steuerparadies besessen haben. Er trat im April zurück. Jóhannesson will nun das Vertrauen in die Politik wiederherstellen.

Im Herbst wird Island ein neues Parlament wählen. Umfragen zufolge befindet sich Piratenpartei im Aufwind. „Es gibt Misstrauen gegenüber dem alten Establishment, und die (Piratenpartei, Anm.) sind frisch und haben neue Ideen“, sagt Jóhannesson dazu. Schließlich haben nicht nur die Panama-Papers, sondern auch die Finanzkrise 2008 dem Eiland zugesetzt.

Sein neues Amt tritt Jóhannesson am 1. August an; Vorgänger Ólafur Ragnar Grímsson hatte nach 20 Jahren genug. Der Präsident hat repräsentative Aufgaben, kann aber auch ein Veto gegen Gesetzesentwürfe einlegen. Die Wahlbeteiligung – 245.000 Wahlberechtigte – schien im Übrigen nicht so gering gewesen zu sein wie befürchtet. Weil viele Isländer in Frankreich bei der EM sind, haben die Behörden spontan auch dort eine Urne aufgestellt.

Sich selbst beschreibt Jóhannesson, der am Sonntag seinen 48. Geburtstag feierte, als unkompliziert, ruhig und als einen typischen Akademiker. Mit seiner kanadischen Frau und fünf Kindern lebt er in der Nähe von Reykjavik. (red.)

ZUR PERSON

Guđni Jóhannesson.
Der Historiker gewann am Sonntag, seinem 48. Geburtstag, die Präsidentenwahlen in Island. Der fünffache Vater war ohnehin Favorit und kommentiert immer wieder das Politgeschehen im isländischen TV. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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