Rom sägt an Europas Bankenunion

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Die Regierung Renzi setzt alles daran, marode Banken nur mit Staatshilfe zu retten – was in der EU mittlerweile verboten ist. Nun sucht man fieberhaft nach einer Lösung ohne Sündenfall.

Wien. Matteo Renzi hüllt seine Kritik gern in poetische Worte. Die EU werde von „Technokraten ohne Seele“ geführt, war die Lehre, die Italiens Premier aus dem Brexit zog. Was er konkret meinte: Hätten sie eine Seele, würden sie ihm erlauben, die italienischen Banken mit Steuergeldern zu retten – noch bevor Investoren und große Anleger ihren Beitrag geleistet haben. Das aber ist seit der Einführung der Bankenunion 2014 verboten. Als die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, beim EU-Gipfel der Vorwoche betonte, man könne nicht „alle zwei Jahre die Dinge wieder neu machen“, wechselte Renzi ins grobe Fach: „Wir sind nicht hier, um uns von der Lehrerin eine Lektion erteilen zu lassen.“ Man sieht: Die Nervosität ist groß. Die größten Probleme hat das Institut Monte dei Paschi di Siena, deren Aktien am Dienstag zeitweise vom Handel ausgesetzt wurden. In Summe sitzen Italiens Banken auf einem Berg von 360 Mrd. Euro an notleidenden Krediten, ein Fünftel ihrer gesamten Ausleihungen.

Garantien als Trostpflaster

Die Kurse ihrer Aktien sind seit Jahresbeginn um die Hälfte eingebrochen. Der heftigste Schlag kam nach dem Brexit-Votum. Renzi sieht nun „einen Notfall“, der auch nach EU-Recht staatliches Eingreifen erlaubt. Nicht einmal der italienische Bankenverband will dieser Argumentation folgen. Auch mit dem Ansinnen, die Regeln für Italien ein halbes Jahr auszusetzen, blitzte der Regierungschef in Brüssel ab. Für EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré wäre dies „das Ende der Bankenunion“. Als Trostpflaster bekam Renzi die Erlaubnis, einen präventiven Schutzschirm von 150 Mrd. Euro aufzuspannen.

Das klingt nach viel. Aber es geht nur um Garantien, die solvente Banken gegen Gebühr in Anspruch nehmen, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Die Probleme des Finanzsektors, von der kleinen Sparkasse bis zur großen UniCredit, reichen aber viel tiefer.

40 Mrd. Euro – das ist die Differenz zwischen dem Buchwert der faulen Kredite, für die es keine Rückstellungen gibt, und ihrem Marktwert. Diese Lücke müsste gefüllt werden, weil die Institute zurzeit nicht in der Lage sind, dafür auf dem Markt frisches Kapital aufzutreiben. Deshalb, berichtet die „Financial Times“, überlege man in Rom bereits, sich einfach über die Regeln hinwegzusetzen und einen Rechtsstreit mit der EU-Kommission in Kauf zu nehmen – ein Sündenfall, der Investoren freilich noch weiter abschrecken dürfte.

Wie aber konnte es so weit kommen? Italiens Finanzsektor leidet unter einer verschleppten Strukturkrise. Als 2008 die Finanzwelt bebte, erlitt er keine gröberen Blessuren, weil es in Italien keine Immobilienblase gab und er wenig mit US-Papieren spekulierte. Deshalb kam es, anders als in den USA, Deutschland oder Österreich, auch nicht zu beherzten staatlichen Rettungsaktionen und Bad Banks, die damals noch erlaubt waren. Aber gut ging es den meisten Geldhäusern schon damals nicht: zu viele Filialen, zu viele Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung (nach Fusionen, denen keine Einsparungen folgten), vor allem aber: zu viel Einfluss von Politikern in regionale Institute. Als dann Italien in die längste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg rutschte, kehrten die nationalen Aufseher die Probleme unter die Decke. Aus Rücksicht auf den Staat, den die Geldhäuser flüssig halten – mit 400 Mrd. Euro an Staatsanleihen in ihren Bilanzen.

Das Trauma vom Dezember

Erst die EZB zeigte beim Stresstest vom Herbst 2014 die Probleme schonungslos auf. Ende Juli folgt ein weiterer Stresstest – auch deshalb nun die Hektik. Dabei setzte Rom die Bail-in-Regeln im vorigen November ohne Murren um. Doch schon wenige Wochen später wurde allen bewusst, was sie für Italien bedeuten: Als vier kleine Regionalbanken vor dem Ruin standen, mussten zuerst die privaten Gläubiger bluten, die Anleihen des Instituts gekauft hatten. Darunter auch einfache Bürger, die damit ihre Ersparnisse verloren. Kein untypischer Fall: Kleinanleger halten rund ein Drittel der italienischen Bankanleihen. Niemand hat sie darüber informiert, welches Risiko sie damit neuerdings eingehen. Unversehens verwandelte sich die Brüsseler Direktive in ein Schreckgespenst: Sollten auch größere Institute nach ihr abzuwickeln sein, würden wohl die Massen auf die Straße gehen – und die Tage Renzis an der Macht wären gezählt.

Erste Lösungsversuche haben nicht gefruchtet. Ein privater Rettungsfonds, zu dem Rom große Investoren drängte, um damit faule Kredite aufzukaufen, blieb zu klein. Nun sucht man bei der EZB eilig nach einem Ausweg. In Brüssel und Berlin heißt es: Es gibt genügend erlaubte Möglichkeiten, die Auswirkungen für Kleinanleger abzuschwächen. Zum Beispiel, indem man ihre Forderungen großzügig in Anteile an der Bank umwandelt. Oder eben ihnen staatliche Hilfe zukommen lässt. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2016)

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