Eine kurze Geschichte der Demokratie in Europa

Verlesung der Bill of Rights/Landowski - Reading of the Bill of Rights/Landowski -
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Wir wählen heute unsere Staatsoberhäupter – wenn nötig, noch einmal. Wir stimmen in Referenden über die Geschicke ganzer Länder ab. Doch woher kommt die Demokratie? Und wie hat sie sich entwickelt?

Demokratie in Athen

Die Gleichheit vor dem Gesetz, das allgemeine Recht auf Ehrenstellen, die volle Redefreiheit – das waren die Prinzipien der Demokratie im Stadtstaat Athen. Es gab eine Volksversammlung, zu der jedermann ab dem 30. Lebensjahr Zutritt hatte. Alle Stimmen waren gleich viel wert. Die Mehrheit entschied. Allerdings: Es waren nicht alle Menschen gleich viel wert. Sklaven waren von diesen Rechten ausgeschlossen. Frauen auch. Fremde ebenso.

Gefördert war die Entwicklung der Demokratie im Athen der Antike durch die militärischen Erfolge in den Perserkriegen worden. Hinzu kam das Bestreben, soziale Spannungen zu überwinden. Und das Wirken kluger Reformer wie Solon, Kleisthenes und Perikles.

Doch die attische Demokratie hatte auch ihre Schattenseiten: Der Demagoge betrat die Bühne (und verließ sie seither nicht mehr). Und missliebige Bürger konnten mittels Scherbengericht von ihren Mitbürgern in die Verbannung geschickt werden.

Römische Republik

Senat und Capitol – die USA, ein demokratischer Staat seit jeher, haben nicht zufällig Begriffe aus dem alten Rom für ihre Institutionen übernommen. Athen mag die Wiege der Demokratie gewesen sein, die Römische Republik war jedoch das naheliegendere Vorbild. Hier ist bereits eine Art Zwei-Parteien-System angelegt: die Patrizier als Vertreter der Oberschicht und die Plebejer als Vertreter des einfachen Volkes. Auch die späteren sozialistischen Bewegungen sollten hier Anleihe nehmen: Das Proletariat leitet sich vom lateinischen proles (Nachkommenschaft) ab. Menschen also, die als einzigen Besitz nur ihre eigenen Nachkommen haben.

Die Römische Republik war ein recht kompliziertes Gefüge wechselseitiger Machtkontrolle. Geführt wurde der Staat de facto von Konsuln. Gesetzgeber war der Senat, eine Art Proto-Parlament, zunächst nur für Patrizier offen. Der Volkstribun wiederum war der gewählte Repräsentant der Plebejer, der diese gegenüber dem Senat vertrat, und mit einem Vetorecht ausgestattet war. Später konnten dann auch Plebejer selbst in den Senat einziehen. Daneben gab es als echtes demokratisches Element noch die Volksversammlungen: Alle erwachsenen Männer waren stimmberechtigt und konnten bei wichtigen Fragen – Kriege, Gesetze – und der Wahl der Magistrate (führende Beamte) mitentscheiden.

Glorious Revolution

Mit der Glorious Revolution 1688/89 zog die Demokratie in einem wesentlichen Land der westlichen Zivilisation ein. Diese bedeutete das Ende des Absolutismus in England. Mit der Bill of Rights wurde die Grundlage für das heutige parlamentarische System geschaffen. Der König, Wilhelm von Oranien, gab freiwillig Macht ab. Monarch und Parlament regierten nun gemeinsam. Steuern und Abgaben etwa konnte der König nur mit Zustimmung des Parlaments einführen.

„Eine weise, nüchterne und überlegte Erklärung, das Werk großer Rechtsgelehrter und großer Staatsmänner, nicht überhitzter und unerfahrener Enthusiasten“, nannte der britische konservative Staatsphilosoph Edmund Burke die „Bill of Rights“ in seinen „Betrachtungen über die Französische Revolution“, gerichtet an die Adresse der französischen Revolutionäre und ihrer englischen Bewunderer.

Die Glorious Revolution und die Französische Revolution waren stilbildend für die demokratische Entwicklung Europas. Der Unterschied zwischen den beiden: Die Engländer haben ihre Demokratisierung gemeinsam mit ihrem König durchgesetzt, die Franzosen gegen ihn. Deswegen haben die Briten heute noch einen Monarchen an ihrer Staatsspitze.

Französische Revolution

Großen Einfluss – im Speziellen auf die Französische Revolution – hatten auch die USA und deren demokratische Verfasstheit. Die egalitäre amerikanische Einwanderungsgesellschaft kannte keinen König und handelte ihre Angelegenheit auf demokratischem Wege aus. Und den König, den sie hatten, den britischen, wurden sie im Unabhängigkeitskrieg mit Hilfe der Franzosen los.

Was wiederum eine direkte Auswirkung auf die Geschehnisse in Frankreich haben sollte. Denn der Staat stand vor der Pleite. Zum einen wegen Missernten, zum anderen wegen der Unterstützung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung. König Ludwig XVI. sah sich gezwungen, die Generalstände einzuberufen – was seit fast zwei Jahrhunderten nicht mehr geschehen war. Vertreten war hier der erste Stand, der Adel, der zweite Stand, der Klerus, und der dritte Stand, das Bürgertum. Und dieser revolutionär gesinnte dritte Stand übernahm dann auch das Kommando. Und der König war alsbald abgesetzt.

In der Nationalversammlung, dem Parlament des dritten Standes, kristallisierte sich bald eine Art Zwei-Parteien-System heraus: auf der einen Seite die bürgerlichen Girondisten, auf der anderen die linken Jakobiner. Später kamen die noch linkspopulistischeren Sansculotten hinzu, der vierte Stand, das eigentliche Proletariat. Die Revolutionäre bekamen sich jedoch bald in die Haare – im wahrsten Sinne des Wortes. Zuerst ging es den Girondisten an den Kragen. Im Zuge ihrer Terrorherrschaft wurden dann auch namhafte Jakobiner einen Kopf kürzer gemacht. Das republikanische Experiment endete im Chaos – und wie schon im alten Rom letztlich mit einem Kaiser: Napoleon Bonaparte.

Der Bonapartismus wiederum wies auch plebiszitäre Elemente auf: Napoleon ließ immer wieder Volksabstimmungen durchführen. Über eine neue Verfassung etwa. Ergebnis: Drei Millionen Franzosen stimmten mit Ja, 1562 mit Nein. Oder über die Frage, ob er selbst Konsul auf Lebenszeit werden soll: Da sprachen sich 3,5 Millionen der Wähler dafür aus, 8000 dagegen.

Demokratie nach 1848

Auch wenn die Französische Revolution (vorerst) gescheitert war, die Idee war einmal in den Köpfen drinnen. Und 1848 bekam sie wieder Flügel. In vielen europäischen Ländern fanden Revolutionen gegen die regierenden Monarchen statt, getragen von Bürgertum, Studenten, Arbeitern. Der demokratische Nationalstaat war das Ziel. Nationalismus und Liberalismus gingen damals als progressive Strömungen noch Hand in Hand.

Auch Österreich erfasste dieser „Völkerfrühling“. Doch die Revolution in Wien scheiterte. Es folgte eine Phase der Restauration. Aber da die Idee aus den Köpfen nicht mehr herauszubekommen war, sah sich der junge Kaiser Franz Joseph bald gezwungen, dem Bürgertum, von dem er zusehends auch finanziell abhing, demokratische Zugeständnisse zu machen. 1861 wurde ein Parlament geschaffen, der Reichsrat. Und ein Zensuswahlrecht eingeführt – wahlberechtigt waren Männer ab einer gewissen Steuerleistung. Abgelöst wurde dieses von einem Kurienwahlrecht. In der 5. Kurie durften unabhängig von der Steuerleistung Männer ab 24 Jahren mitstimmen. Die Mitglieder der ersten vier Kurien durften in der 5. Kurie jedoch noch einmal wählen. Sicher war sicher.

1907 wurde das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt, die Frauen durften erst ab 1919 wählen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war Österreich zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Republik geworden. Aber auch diese sollte noch schwere Rückschläge erfahren – ehe das Land nach 1945 eine Demokratie bekam, die den Namen nach heutigen Maßstäben auch verdient.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2016)

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