Aufzeichnungen aus dem Keller

»Wer im Anzug mit piekfeinem Mercedes vorgefahren kommt, schaut schon kurz.« Werkstatt Der Arbeitstisch in Anton Mayrs Werkstatt ist kurz vor seinem Sommerurlaub relativ leer geräumt. Drei fertige Ledersitze warten aber noch auf ihre Besitzer.
»Wer im Anzug mit piekfeinem Mercedes vorgefahren kommt, schaut schon kurz.« Werkstatt Der Arbeitstisch in Anton Mayrs Werkstatt ist kurz vor seinem Sommerurlaub relativ leer geräumt. Drei fertige Ledersitze warten aber noch auf ihre Besitzer.Die Presse/Clemens Fabry
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In der Oldtimer-Szene kennt man Autosattler Leopold Filla. Heute steht der Urenkel des Gründers in dem kleinen Souterrainlokal und repariert Cabriodächer und Vespasitze – noch.

Steigt einem der erdig-feuchte Geruch in der Autosattlerei Leopold Filla in die Nase, tauchen unweigerlich Bilder einer alten Weinviertler Kellergasse vor dem geistigen Auge auf. Vielleicht radelt auch noch Kommissar Simon Polt durch die Szenerie.

Nicht eine Kellergasse, sondern ein kleines Kellerlokal im dritten Wiener Bezirk an der Weißgerberlände, schon ganz unten am Kanalwasser gelegen, beheimatet seit mehr als 100 Jahren den Familienbetrieb. Mit Anton Mayr arbeitet heute die vierte Generation in der Werkstatt. Den Namen der Firma auf Mayr zu ändern, würde ihm aber genauso wenig in den Sinn kommen, wie aus dem kleinen Souterrainlokal fortzuziehen. „In der Szene weiß man, wo der Filla ist“, sagt der 51-Jährige. Und die Mundpropaganda von zufriedenen Kunden sei in seinem Nischengewerbe alles. An einer Hand lassen sich die kleinen, unabhängigen Wiener Sattlereien abzählen, die sich heute noch der Cabriodächer und Vespasitze der Hauptstadt annehmen. „Eine Doppelseite in der Zeitung zu schalten kann ich mir nicht leisten. Ich muss selbst meine Werbung sein“, sagt Mayr. Sprich freundlich, ehrlich, kompetent arbeiten – so Aufträge eingehen. Er sei zwar ausgelastet, aber: „So, dass ich mir die Arbeit aussuchen kann, ist es nicht.“


Damals Fiaker, heute Lkw.
Heute steht der Autosattler allein in seinem Betrieb. Als sein Urgroßvater Franz Filla diesen 1886 ins Leben rief, sorgten die Pferdefuhrwerke und Kutschen Wiens für regen Kundenzustrom. Auch noch zu Zeiten seines Vaters, von dem er die Leitung der Werkstatt vor 13 Jahren übernahm, waren sie zu dritt. Damals hielten sie das Geschäft mit Staplerplanen über Wasser. Sie reisten nach Niederösterreich und Kärnten, belieferten Lkw-Firmen im halben Land mit ihren Plastikplanen. Mayr erinnert sich an Großaufträge, die im wahrsten Sinn die gesamte Werkstatt einnahmen. Er deutet auf die beiden Enden des in die Jahre gekommenen, massiven Werktisches, der beinahe den gesamten Raum einnimmt: „Einer stand dort, einer da, und ich bin an der Maschine gesessen und habe genäht.“ Schon allein die praktische Ausführung wäre heute unmöglich: Wer würde die Planen gespannt halten, während Mayr die Nähmaschine bedient? Die Preiskonkurrenz der Großen mache diese Arbeit heute sowieso unrentabel: „Das beginnt beim Materialkauf. Ich kaufe 50 Meter ein, der andere 50.000. Da kann ich nicht mithalten.“

Also verlegte sich Mayr vom Großen aufs Kleine. Heute ist seine Autosattlerei spezialisiert auf Oldtimer-Restaurationen, Cabrioverdecke, Motorradsitzbänke, schöne Autohimmel und Innenpolsterungen. Er ist auch der Einzige in Wien, der noch Lederlenkräder von Hand bezieht. Mayr zeigt auf seinem Computer stolz Fotos seiner jüngsten Aufträge: Ein blitzender Ford, Baujahr 1929, mit hellem Lederdach oder ein Puch 500, dessen Inneres nun in sattem Burgunderrot leuchtet. Von Sonderanfertigungen für Oldtimer-Liebhaber allein könne er aber nicht leben. Es seien die Kleinigkeiten, die sich summierten und das Geschäft am Laufen hielten – die verschlissenen Motorradbänke, die gerissenen Hundeleinen und Lederhandtaschen, oder hie und da ein lederbezogener Rollstuhl oder Zahnarztsessel. Die Definition seines Gewerbes? „Alles mit Leder“, sagt Mayr mit einer ausladenden Handbewegung. „Gut, alles außer Couchbezüge“, schränkt er ein. Dafür gebe es schließlich den Berufszweig der Polsterer.

Seit er zwei Jahre alt ist, geht Anton Mayr im Familienbetrieb ein und aus. „Ich habe nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, etwas anderes zu machen“, sagt er. Mit vier Jahren hätte er bereits seinen eigenen Platz in einer Ecke des Raums gehabt, wo er mit seinen höchstpersönlichen Schrauben und Nägeln werken durfte. 1980 begann er nach der Schule ohne Umschweife die Sattlerlehre. Schon damals waren sie nur fünf oder sechs Lehrlinge in diesem Berufszweig, erinnert sich Mayr – heute gebe es noch einen einzigen. Danach arbeitete er dreieinhalb Jahre in einer Werkstatt in Stammersdorf im Norden Wiens, bevor er in den väterlichen Betrieb zurückkehrte. Seit 1984 steht er wieder hinter dem großen Arbeitstisch im Landstraßer Keller.

Neben dem alles dominierenden Möbelstück beherbergt der Raum unzählige alte Werkzeuge: Da hängen Sattlerhämmer, Riemenzuschneidegeräte und Kantenzieher an den Wänden. Vieles ist seit Jahrzehnten nicht mehr in Verwendung, aber zu schade, um weggeschmissen zu werden. „Und ich brauch es ja nicht füttern.“ So dürfen die Werkzeuge hängen bleiben. Ähnlich wie sich an einer anderen Wand die Leder-, Plastik- und Stoffrollen stapeln dürfen. In dem Betrieb herrscht das Prinzip: Wer weiß, wozu das eines Tages nützlich sein könnte. Dabei sind die Tage der urigen Werkstatt bereits angezählt. „Ich sperre in 13 Jahren zu“, sagt der 51-Jährige. Er sei zwar ein sentimentaler Typ, und der Schritt falle ihm nicht leicht, aber sein Pensionsalter rücke näher – und keine fünfte Generation hat bisher Interesse an dem im Aussterben begriffenen Beruf bekundet.


Ein gebührendes Ambiente.
Daher investiere er auch nicht mehr viel Geld in die Kellerräume. Was ebenfalls eine Erklärung für den erdigen Geruch liefern dürfte. „Wer im Anzug und mit piekfeinem Mercedes vorgefahren kommt, der schaut schon kurz. Aber es ist eben eine Werkstatt“, betont Mayr. Und vor allem eine, in die er in den vergangenen 33 Jahren morgens immer gern gekommen sei. „Ich bin am Sonntag nie angefressen, dass ich am Montag arbeiten gehen muss.“

In 13 Jahren wird die Werkstatt eines Montagmorgens geschlossen bleiben. Dann werden sich Wiens Vespafahrer mit den verschlissenen Sitzbänken und Oldtimer-Liebhaber mit den klemmenden Cabriodächern einen anderen Betrieb suchen müssen, in dem es nach Weinviertler Kellergassen und Polt-Romanen riecht.

Wo, Was, Wann

Die Autosattlerei Leopold Fillain der Unteren Viaduktgasse Nr. 1 in Wien Landstraße ist spezialisiert auf Oldtimer-Restaurationen.

Daneben übernimmt Eigentümer Anton Mayr Lederarbeiten aller Art: von Cabrioverdecken über Motorradbänke, die Ausstattung von Motorbooten bis hin zu Überzügen für Zahnarztsessel.

Geöffnet hat die Werkstatt von Montag bis Freitag mit wechselnden Uhrzeiten.

www.filla.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2016)

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