Die Welt der 50.000 Wahlbeisitzer

Symbolbild: Wahlbeisitzer
Symbolbild: Wahlbeisitzer APA
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Die Aufhebung der Stichwahl hat die Wahlkommissionen – und damit die Arbeit von mehr als 50.000 Freiwilligen – in ein schlechtes Licht gerückt. Nun fehlt manchen die Motivation.

Sie grüßen meist freundlich, bitten um den Reisepass, verlesen Name, Adresse und Zahlen und strecken einem dann das Kuvert mit dem Stimmzettel entgegen. Man geht in die Wahlkabine, macht ein Kreuz, wirft das Kuvert in die Urne und verabschiedet sich von den Wahlbeisitzern – meist ohne auch nur kurz über deren Tätigkeit nachgedacht zu haben. Wahlleiter und Wahlbeisitzer spielten für Wähler bisher lediglich eine Nebenrolle. Bis sie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) vergangene Woche bei seiner Entscheidung, die Stichwahl zur Bundespräsidentschaftswahl aufzuheben, zu Hauptdarstellern machte. Allerdings nicht gerade zu Helden.

Es waren mitunter ihre Fehler und Schlampereien, die zur Aufhebung und damit zur Wahlwiederholung führten. Der öffentliche Unmut war den Wahlleitern (in der Regel sind das Beamte) und Wahlbeisitzern (Freiwillige) damit sicher. Die rechtlichen Konsequenzen sind hingegen noch nicht geklärt. Mehrere Jahre Haft drohen mitunter.

Unter diesen Voraussetzungen könnte es künftig noch schwieriger werden, genügend Freiwillige für die Besetzung der Wahlkommissionen zu finden. Bakri Hallak wird am 2.Oktober, beim dritten Urnengang zur Hofburgwahl, aber mit Sicherheit wieder um 6.15 Uhr in seinem Wahllokal in Wien Hietzing stehen. Seit acht Jahren ist der 30-jährige Angestellte für die SPÖ als freiwilliger Wahlbeisitzer im Einsatz und sucht als Bezirksrat nun selbst nach freiwilligen Helfern. „Jetzt gibt es schon viele, die sagen: Nein, ich mach das nicht mehr. Sie fühlen sich gefrotzelt, weil sie wegen der FPÖ deppert dastehen und sagen: ,Dann schaut's halt, wie ihr weiter tuts‘,“ sagt Hallak. Der Ärger sei vor allem deshalb groß, weil die Beisitzer nach einzelnen Verfehlungen „allesamt unter Generalverdacht gestellt werden“.

Bereits bei der Stichwahl selbst sei es schwierig gewesen, genügend Helfer in der SPÖ zu finden. Weil „der Rudi“, also SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer, nicht mehr dabei war, hätten viele abgesagt. Denen habe man erklärt, dass es eine demokratische Pflicht sei und „das Werkl ohne den SPÖ-Beisitzer nicht läuft“. Oft müsse man, wie Hallak erzählt, eben Überzeugungsarbeit leisten. Die Jüngeren könne man mit dem Versprechen, „spannende Einblicke bei der Wahl zu kriegen“, gewinnen. Die Älteren würden den Wahlbeisitz häufig „aus Tradition und Pflichtbewusstsein“ übernehmen. „Sie spenden einen Tag im Jahr einfach der Partei.“

Für Irene Wernicke hat der freiwillige Beisitz tatsächlich Tradition. Die fast 70-Jährige saß im Jahr 1966 erstmals in der Wahlkommission. Bei der Wahlwiederholung im Oktober wird die Pensionistin und ehemalige Bezirksrätin erneut für die ÖVP als Wahlzeugin dabei sein. „Es ist meine Bürgerpflicht und eine Pflicht der Partei gegenüber“, sagt Wernicke. „Ich lege sogar meine Urlaube danach.“ Viele ÖVP-Kollegen werden das, glaubt Wernicke, diesmal nicht machen. Auch wegen der schlechten Nachrede. „Mich ärgert das so, dass immer die Leute den Mund aufreißen, die noch nie in ihrem Leben Beisitzer waren.“

Wernicke kann viel über Wahlen erzählen – auch viel über Schlampereien. Früher sei es in den Wahllokalen, in denen sie Dienst versah, oft „drunter und drüber gegangen“. Wernicke sei einst, wie es auch Beisitzer vor dem Verfassungsgerichtshof schilderten, von einem Wahlleiter dazu aufgefordert worden, das Protokoll blanko zu unterschreiben. Sie habe abgelehnt. Die von der Stadt Wien geschickten Wahlleiter seien früher „oft schlecht ausgebildet“ gewesen. Heute sei das anders.


„Gwirks“ mit Wahlkarten. Es ist aber noch gar nicht so lange her, da hat Wernicke noch beobachtet, dass von Beisitzern „Stricherllisten“ geführt wurden. Notiert wurde dabei, wer schon gewählt hat, um die säumigen Parteimitglieder per Telefon an die Stimmabgabe zu erinnern. Auch bei der Stichwahl am 22.Mai habe sie etwas stutzig gemacht: „Wir haben noch nie so viele Obdachlose gehabt, die ihre Stimme abgegeben haben. Die sind fast alle zu einem Zeitpunkt gekommen, an dem erste Ergebnisse bereits durchgesickert sind und man wusste, dass Norbert Hofer vorn liegt“, sagt Wernicke.

Sie ist „froh, dass das Ganze jemand angezeigt hat“. Das Gute an der von der FPÖ erzwungenen Wahlaufhebung und dem dritten Urnengang sei nämlich, dass „man nun Missstände aufgreift“. Dazu zähle die Wahlkartenpraxis. Mit den Wahlkarten sei es meist „ein ziemliches Gwirks“. Niemand wisse genau, wie sie funktionieren, die Auszählung sei „ein irrer Aufwand“ und das System „nicht fälschungssicher“. Es sei nicht auszuschließen, dass Fremde großflächig Wahlkarten beantragen und ausfüllen. „Ich finde es nach wie vor suspekt, dass bei der Stichwahl so viele Wahlkarten waren“, sagt Wernicke.

Eine, die diese Wahlkarten am Montag nach der Wahl ausgezählt hat, ist Maxie Klein. Die 32-Jährige wird sich am 3.Oktober erneut einen Urlaubstag nehmen, um im 15.Bezirk in Wien als Beisitzerin in der Bezirkswahlbehörde dabei zu sein. Sie macht das für die Grünen. Die sich wie andere kleinere Parteien oft schwertun, genügend Freiwillige zu schicken. An Manipulation glaubt Klein, die mittlerweile seit mehr als fünf Jahren Beisitzerin ist, nicht. Das verhindern die klaren Regeln und die strengen Blicke der Wahlbeisitzer und Wahlzeugen der übrigen Parteien. Hier kontrolliere jeder jeden.

Die Tätigkeit sei „nicht sehr komplex, aber mühsam“, sagt Klein. „Wie am Fließband schneidet man die Wahlkarten auf. Bis einem die Hand fast abfällt.“ Der zeitliche Druck sei groß. Bei der Hofburgwahl habe das Auszählen im Vergleich nicht lange gedauert, aber bei der Gemeinderatswahl, bei der das System noch viel komplexer ist, sei sie von 8.30 bis 23 Uhr gesessen. „Und das für 20 Euro.“

Die Aufwandsentschädigung für die Beisitzer ist gering – sie reicht je nach Gemeinde und Land von einer Wurstsemmel bis zu 80 Euro. Um mehr Wahlbeisitzer motivieren zu können, schlug SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder am Montag eine höhere Vergütung vor. Und musste sich dafür den Vorwurf gefallen lassen, der SPÖ so mehr Geld verschaffen zu wollen. Denn in der SPÖ wird das Geld meist an die Partei abgegeben. Das sei kein Problem, man werde am Wahltag ja auch versorgt, findet Hallak. Wernicke klingt etwas schadenfroh: „Wir freuen uns immer sehr, wenn bald, nachdem das Geld ausgeteilt wurde, bei der SPÖ der Kassier kommt.“

Am 2. Oktober werden – mehr Geld hin oder her – voraussichtlich wieder über 50.000 Freiwillige im Einsatz sein, und diesmal vermutlich (noch) penibler arbeiten. Denn in einem sind sich Hallak, Wernicke und Klein einig: Manche Fehler der Beisitzer mögen dilettantisch gewesen sein, andere sind durchaus nachvollziehbar. Entscheidend für die Freiwilligen sei ein guter Wahlleiter. Alle drei wurden von ihren Parteien geschult. Sie kennen die Regeln. Für Fortbildungen wären sie dennoch offen: „Schaden tut das nie“, sagt Hallak.

Wahlkommission

Wahlleiter
Chef im Wahllokal ist der Wahlleiter. Er wird vom Bürgermeister bestellt. Es handelt es sich meist um Beamte.

Wahlbeisitzer
Dabei handelt es sich um Freiwillige. In Sprengelwahllokalen gibt es derer beispielsweise drei. Sie werden von den Parteien nominiert, und zwar dem Ergebnis der letzten Nationalratswahl entsprechend.

Wahlzeugen
Kleine Parteien können Vertrauenspersonen oder Wahlzeugen entsenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2016)

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