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George Clinton: "Mein Funk wirkt wie Viagra"

George Clinton
George Clinton(c) William Thoren/Jazz Fest Wien
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George Clinton, 75-jährige Legende des P-Funk, begeisterte im Rathaus. Davor gab er der „Presse“ eines seiner raren Interviews – über Sozialkritik, LSD und Donald Trump.

Das silbern glänzende Mothership, jenes berühmte Raumschiff, mit dem George Clinton in den Siebzigerjahren tourte, hat seit Kurzem eine neue Heimat: im renommierten Smithsonian Institute an der Washingtoner Mall. Es ist eines der Prunkstücke einer Dauerausstellung über afroamerikanische Kultur. Die Mission des Mothership, die Etablierung von George Clintons ganz persönlicher Marke von Funk, gilt indessen längst als erfüllt.

Der sogenannte P-Funk, praktiziert von Clintons Bands Parliament und Funkadelic, stand von Anfang an für Integration und Utopie. Clinton dachte Genres wie Doo-Wop und Electronic Boogie, Sweet Soul und Psychedelic Rock zusammen. In den Songtexten entwickelte er – ähnlich wie Jazzkollege Sun Ra – eine Mythologie, die zugleich naiv und komplex war. Was wie Science-Fiction klang, war nicht selten soziale Utopie.

Die Siebzigerjahre waren die Ära von Clintons größten Erfolgen. Nach dem Entstehen des Hip-Hop wurde er von einer neuen Generation umarmt. Die Gangsterrapper der US-Westcoast – Dr. Dre, Ice Cube, 2 Pac, Snoop Dogg – sampelten seine Stücke besonders intensiv. Das brachte Clinton Geld, und sein Name blieb populär. „P-Funk is the DNA of Hip-Hop“, sagte er nicht unstolz im Gespräch mit der „Presse“. Seit etwa drei Jahren von den Drogen weg, gefällt sich der 75-Jährige in der Rolle des Elder Statesman. Jüngst war er Gast bei den Aufnahmen zu Kendrick Lamars Meisterwerk „To Pimp a Butterfly“. „Jetzt hat er sich revanchiert und mit mir ,Ain't That Funkin‘ Kinda Hard On You?‘ eingespielt“, jubelt Clinton über seine guten Kontakte mit der Enkelgeneration.

„Der puritanische Zeitgeist lähmt doch!“

Diese wackelte dann auch sinnenfroh mit ihm auf der Jazzfest-Wien-Bühne im Rathaus, wo schlechte Tonqualität leider schon zur Tradition gehört. Clinton ließ sich davon nicht beirren und brachte den Klassiker „Mothership Connection“ bereits als zweiten Song seiner untadeligen Performance. In ihm stellte er „Star Child“ vor, einen positiven Charakter, der noch in anderen Clinton-Songs herumgeistert. „Swing down, sweet chariot“, seufzte der Chor. Clinton sang rau, aber warm: „Ain't nothing but a party, y'all.“

Mit „Give Up the Funk (Tear the Roof off the Sucker)“ machte man gleich Ernst. Party ist für Clinton nicht bloß Spaß, sondern ein Laboratorium, in dem Wünsche, auch gesellschaftspolitische, formuliert werden. „Der puritanische Zeitgeist lähmt doch“, sagt er. Selbst steht er zu einem epikuräischen Lebensstil. Sieht er den in Gefahr, wenn Donald Trump tatsächlich zum Präsidenten gewählt werden sollte? „Er wird sicher nie Präsident. Daran will ich nicht einmal denken. Einen Soundtrack für so eine Welt kann ich mir nicht vorstellen.“

„Ich ließ mich durch LSD inspirieren“

Hinter Clintons meist cartoonhaftem Humor sind oft ernste Anliegen versteckt. Etwa in „Atomic Dog“, wo sich der aggressive Hund fragt, warum er dazu verdammt ist, ewig Katzen zu jagen. „Aggression ist leider Bestandteil der männlichen Psyche“, erklärt Clinton: „Wenigstens agieren wir nicht mehr so grausam wie in prähistorischen Zeiten. Aber Rückfälle in archaische Verhaltensweisen sind jederzeit möglich. Man schaue sich nur die sogenannten sozialen Medien an. Dort merkt man: Brain is still in kindergarten.“

Lieber setzt Clinton auf die verbindende Kraft von Musik und klugen Songtiteln. Zu den griffigsten seiner Slogans zählt „Free Your Mind and Your Ass Will Follow“. Wie kam er darauf? „Wie viele meiner Generation ließ ich mich durch LSD inspirieren. Es lässt dein Gehirn so richtig von der Leine.“ Seine Theorie von Tanz als Pfad zur Freiheit ist wohl auch eine Folge von munter eingeworfenen, psychoaktiven Pillen. „Auf dem Dancefloor kannst du dich in verschiedene Klone spalten“, sagt er: „Das heilt von der Zivilisation. Im Grunde ist im Leben alles eine Art Tanz.“

Als Agent der bösen Gesellschaft agiert in Clintons Welt die Figur „Sir Nose D'Voidoffunk“: In weißem Zottelpelz und mit Pinocchionase tänzelte er auch vor dem Wiener Rathaus. In der Hymne „One Nation under a Groove“ lösten sich dann die gesellschaftlichen Antagonismen auf. Sie war 1978 Clintons erster und einziger Millionenseller, ihren Titel hatte er auf einem Open-Air-Festival in Washington aufgeschnappt. „Dort sah man nichts als ein Meer von Afros“, erzählt er: „Da sagte ein Mädchen: ,Wow, like one nation under a groove.‘ Das brannte sich in mir ein.“

Der positive Groove dieses Evergreens entfaltete seine Wirkung sogar in den betonierten Arkadenhöfen. Dann flossen die Hits ineinander: das kantige „Freak of the Week“ ins verträumte „(Not Just) Knee Deep“ ins neue, aber patiniert klingende „Pole Power“.

„Computer zum Tanzen bringen“

Was, meint Clinton, unterscheidet seine Lieder vom heutigen, oft öden R & B? „Ich habe mich stets gegen die Versuchungen der Massenproduktion gewehrt. Als Musiker muss man sich bemühen, noch die sterilste Produktion funky zu machen. Man muss die Computer zum Tanzen bringen! Musik klingt nur menschlich, wenn pussies und dicks in ihr sind. Mein Funk wirkt da wie Viagra.“

In diesem Sinn endete die Performance der bunten Truppe aphrodisierend. Nach dem Space-Rocker „Maggot Brain“ einte Clinton die Gemeinde mit dem erotisch aufgeladenen „We Want the Funk“. Das Begehren hat halt immer Saison.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2016)

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