Ein Jahr nach dem Atomdeal ist die Enttäuschung groß

Iranian President-elect Hassan Rohani gestures to the media during a news conference in Tehran
Iranian President-elect Hassan Rohani gestures to the media during a news conference in Tehran(c) Reuters (FARS NEWS)
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Hardliner im Iran fürchten Verwestlichung, in den USA bremsen Gegner des Deals die Annäherung.

Kairo/Teheran. Bei der feierlichen Unterzeichnung des Atomabkommens überboten sich alle Seiten in Euphorie. „Heute ist ein Tag des Aufbruchs in eine bessere Zukunft für unsere Jugend, für mehr Fortschritt und Wohlergehen“, erklärte am 14. Juli 2015 Irans Präsident Hassan Rohani. US-Präsident Barack Obama nannte die 100-seitige Vereinbarung einen Erfolg für die US-Diplomatie. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach von „historischer Zäsur“.

Doch so hochgesteckt die Erwartungen, so enttäuschend die erste Bilanz nach einem Jahr. In Teheran stehen sich Hardliner und Reformer erbittert gegenüber. In Washington ringen Befürworter und Gegner einer Entspannung erbittert: Das US-Repräsentantenhaus verabschiedete jetzt sogar einen Gesetzesentwurf, der den Verkauf von Boeing- und Airbus-Flugzeugen an die Islamische Republik verbieten und damit das bisher größte Post-Atomstreit-Geschäft zunichtemachen soll. Der Iran bestellte bei Boeing 80 Maschinen, bei Airbus sogar 118, zu deren Export ebenfalls eine US-Lizenz erforderlich ist. Gesamtvolumen: 40 Mrd. Euro. Die ersten Maschinen sollen bereits im Jänner 2017 geliefert werden, doch westliche Großbanken scheuen sich, den Vertrag zu finanzieren.

Wirtschaftliche Hängepartie

Im Iran angeführt werden die Skeptiker durch Ayatollah Ali Khamenei. Der Oberste Religionsführer wirft den USA ein falsches Spiel vor. Der Iran habe seinen Teil minutiös erfüllt, während es aus Washington nur leere Versprechungen gebe, lautet seine Kritik. Als hohe Hürde erweisen sich vor allem die US-Sanktionen gegen die Revolutionären Garden, die weiter in Kraft sind und empfindliche Strafen vorsehen. Europäische Banken fürchten, an iranische Partnerfirmen zu geraten, die im Besitz der Elitetruppen sind. Mit der wirtschaftlichen Hängepartie geht auch die politische Konfrontation einher. Die Reformer wollen die Entspannung nach außen für eine Liberalisierung nach innen nutzen. Die Hardliner fürchten einen pro-westlichen Dammbruch. Wer den Westen als Vorbild für gesellschaftlichen Fortschritt ansehe, „hat seinen Verstand verloren“, schimpfte Ayatollah Khamenei.

Maturanten ausgepeitscht

Entsprechend häufen sich die Provokationen: Teherans Fassaden und Brücken sind mit aggressiven anti-amerikanischen Plakaten gepflastert. In der Provinz Isfahan wurden Hunde, die im Islam als unreine Tiere gelten, ihren Besitzern weggenommen. Mehrere Live-Konzerte mussten in den vergangenen Wochen abgesagt werden, obwohl das Kulturministerium sie genehmigt hatte. Stets machte die Polizei kurz vor Beginn Sicherheitsbedenken geltend. In der Provinzstadt Qazvin wurden Maturanten mit Peitschenhieben bestraft, weil sie ihr Examen mit einer Tanzparty gefeiert hatten. Der Bildhauer Parviz Tanavoli, der im British Museum sein neues Buch vorstellen wollte, durfte nicht an Bord nach London. Grenzbeamte auf dem Flughafen Teheran nahmen ihm seinen Pass weg, jetzt soll der 79-Jährige wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ angeklagt werden. Tanavoli ist einer der höchstbezahlten Künstler des Nahen Ostens, seine Werke waren im vergangenen Jahr zum ersten Mal in den USA in einer Solo-Ausstellung zu sehen.

Mit ihrem Kulturkampf und der wachsenden wirtschaftlichen Ernüchterung wollen die Konservativen Stimmung machen, um eine Wiederwahl Rohanis im Juni 2017 zu verhindern. Umso wichtiger ist es für den Präsidenten, dass die Bevölkerung im Alltag möglichst bald positive Wirkungen des Atomabkommens zu spüren bekommt. Denn Vorgänger Ahmadinejad läuft sich bereits warm. Und sollte er an die Macht zurückkehren, könnte der unselige Atomstreit wieder von vorn beginnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2016)

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