Vermasselt die Politik Bankenumzug nach Wien?

Mehrere europäische Metropolen hoffen, vom Exodus der Banken aus London nach dem Brexit profitieren zu können.

Bis zu 80.000 Finanzjobs könnte London als Folge des Brexit verlieren. Ausländische Politiker werben bereits für die Übersiedlung nach Deutschland und Frankreich. Doch auch Wien scheint überraschend gut im Rennen zu liegen. Nur, vermasseln die Steuerideen der österreichischen Politiker diese Chance?

Wirtschaftszeitungen sind voll davon: Bisher öffnete die britische Banklizenz im Wege des „Passport“ die Erbringung von Dienstleistungen in der gesamten EU, ohne dass eine Banklizenz des Ziellandes benötigt wird. Finanzierungen, Derivatgeschäfte, Beratung im Investmentbanking, etwa bei Börsegängen und M&A-Transaktionen – all dies kann von London aus EU-weit ohne Lizenz des Zielstaates erbracht werden.

Nach dem Brexit ist Schluss damit. Etliche Londoner Banken werden Abteilungen auf den Kontinent verlegen. So überlegt die englische HSBC die Übersiedlung von 1000 Jobs nach Paris. US-Banken, für die London bisher als Eintrittspforte zur EU fungierte, werden den Sitz nach Kontinentaleuropa verlagern. Der Finanzplatz London beschäftigt 800.000 Menschen. Der Aderlass könnte dramatisch sein.

„A fantastic place to live“

Das Werben um Brexit-Flüchtlinge ist voll im Gange, denn Entscheidungen in der Finanzbranche fallen rasch: Bereits vor dem Brexit-Votum pries sich Paris als neues Bankenzentrum an. Zwar sei Berlin die Hauptstadt, beim Thema Finanzen aber Frankfurt die Nummer 1, tönt es aus der Hessen-Metropole. Ministerpräsident Volker Bouffier bewirbt Frankfurt schließlich als Sitz der Europäischen Bankenaufsicht EBA.

Die Fondsszene rechnet mit Verstärkung der Investmentfirmen in Luxemburg und Dublin. Und Bayerns Finanzminister Markus Söder hat sogar München als Zuzugsort ins Spiel gebracht.

In österreichischen Gazetten aber kam das Thema kaum vor. Politiker haben es offenkundig noch nicht wahrgenommen. Dabei ist Wien keineswegs chancenlos. Die „International New York Times“ hat eine Hitliste der Zielstandorte vorgestellt. Wien rangiert nach Punkten nur knapp hinter Amsterdam und Frankfurt an dritter Stelle – und noch deutlich vor Paris.

Im Vergleich zu Frankfurt besticht Wien etwa durch die „high on-time performance“ seines Flughafens, vor allem aber aufgrund der Top-Lebensqualität: „It's a fantastic place to live“, wird ein Autor des Global Financial Centers Index zitiert. Hingegen sei das dominante Finanzzentrum Frankfurt „simply too boring“.

Paris fällt deutlich hinter Wien zurück: Nur 39 Prozent sprechen fließend Englisch (Österreich: 73 Prozent), teures Leben, strenge Schulen, schlechte Airports, erschwerte Kündigung von Arbeitnehmern (wie in Deutschland), Feindseligkeit gegenüber „Reichen“ (da können wir problemlos mithalten). Sogar der vom Höchstgericht längst aufgehobene 75-Prozent-Spitzensteuersatz schadet heute noch im Ranking.

Österreichs Standortsünden

Wohl deshalb stellt Staatspräsident François Hollande, glückloser Erfinder der 75-Prozent-Reichensteuer und auch sonst eher das Gegenteil eines Manchester-Kapitalisten, hier eine Trendwende in Aussicht: „Vorschriften, auch die steuerlichen, sind anzupassen, um den Finanzplatz attraktiver zu machen.“ Spitzenreiter Amsterdam hat nur einen schwarzen Punkt: die Begrenzung der Banker-Boni mit 20 Prozent des Jahresbezugs.

Glücklicherweise ist der Autor der Hitliste nicht mit der Hitliste der österreichischen Standortsünden vertraut: Entgangen ist ihm zunächst die in Westeuropa einmalige budgetwirksame Bankenabgabe. Die gibt es sonst nur in Ungarn, in der Slowakei und in Polen: keine attraktive „Peer Group“. Managerbezüge über 500.000 Euro bleiben als „Luxusausgabe“ weiterhin steuerlich diskriminiert.

Unsere Politiker wissen besser als Unternehmenseigentümer, welche Manager sich jedes Unternehmen – unabhängig von Größe und Branche – leisten soll. Der neue Spitzeneinkommensteuersatz von 55 Prozent befördert Österreich in den Standortrankings endgültig in die Gruppe der Höchststeuerländer; Schweden, Dänemark und Portugal liegen mit ca 56 Prozent nur unwesentlich höher.

Wie man Zuzug abschreckt

Dass die neuen 55 Prozent erst ab Einkommen von einer Million Euro eingreifen, ist den Standorttabellen, in denen Österreich seine Steuer-Spitzenstellung erneut ausgebaut hat, oft nicht zu entnehmen. Der Ertrag dieser Zuzugs-Abschreckung beschränkt sich auf dürre Mehreinnahmen (40 Mio Euro) von ca 200 „Reichen“ – wohl überwiegend Manager und Unternehmer, nicht untätige Erben. Weitere Reichensteuern werden von Arbeiterkammer und Gewerkschaft fast täglich gefordert. Nicht einmal die dreimalige Aufhebung durch die österreichischen und deutschen Verfassungsgerichte schreckt die heimischen Steuerpolitiker vor Erbschaftssteuerträumen ab. Die von der SPÖ erneut ins Spiel gebrachte fortschrittsfeindliche Wertschöpfungsabgabe (Maschinensteuer), die es sonst nur in Italien und Frankreich gibt, muss die Finanzbranche zumindest verunsichern, zumal Zinsenaufwendungen zur Bemessungsgrundlage zählen sollen.

Angesichts der gegenwärtigen minimalen Zinsmargen muss eine staatliche Kostenerhöhung bei den Refinanzierungskosten tödlich wirken. Die als Investitionsförderung angekündigte degressive steuerliche Abschreibung ist vor allem für die produzierende Wirtschaft interessant, nicht für investitionsarme Dienstleister wie die Finanzbranche. Dienstleister, die heute schon 75 Prozent der Arbeitsplätze stellen und am ehesten rasch neue Arbeitsplätze schaffen können, sollen offenkundig nicht gefördert werden.

In der Geiselhaft der Politik

Im internationalen Steuerwettbewerb fällt Österreich durch Teilnahmslosigkeit auf: Mehrere CEE-Staaten belohnen Investitionen mit 100-prozentigen Steuerbefreiungen für zehn Jahre und gewähren Zuschüsse für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Nicht nur wegen der hohen heimischen Lohnabgaben steht eine VW-Fabrik mit fast 10.000 Arbeitnehmern bei Bratislava und nicht zehn Kilometer westlich.

Zuschüsse fördern nicht nur Technologieunternehmen, sondern vor allem Start-ups, die wegen Anlaufverlusten noch keine Steuerbefreiung benötigen. Wir knallen ihnen in der Verlustphase eine Mindeststeuer auf.

England will die Brexit-Nachteile kompensieren: Die Körperschaftsteuer soll von jetzt schon mageren 20 auf unter 15 Prozent gesenkt werden. Dies ist schon fast Steueroasen-Niveau. Die Schweiz senkt die Körperschaftsteuer auf zwölf bis 14 Prozent und schließt damit zum bisherigen EU-Niedrigststeuersatz von 12,5 Prozent in Irland auf. Österreich liegt mit 25 Prozent rund doppelt so hoch. Diese Standortnachteile nehmen Österreichs Politiker nicht einmal wahr.

„Die Dummheit, die zum Himmel schreit“, heißt es so treffend in „I am from Austria“, Reinhard Fendrichs inoffizieller Bundeshymne, tröstlich gefolgt von „da bin i her, da g'hör i hin“. Denn, ja: „A fantastic place to live“. Ja, definitiv! Nur leider in der Geiselhaft der heimischen Steuerpolitik.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Univ.-Prof. Dr. Hanns F. Hügel ist Seniorpartner von BPV Hügel Rechtsanwälte. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel zum Unternehmens- und Steuerrecht verfasst und hält Lehrveranstaltungen an der Universität Wien. Seit 20 Jahren berät er das Bundesministerium für Justiz in Fragen des Gesellschaftsrechts. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2016)

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