Premier Valls bei Nizza-Schweigeminute ausgepfiffen

Premier Manuel Valls (6.v.re.) wurde bei den Trauerfeiern in Nizza nicht gerade freundlich empfangen.
Premier Manuel Valls (6.v.re.) wurde bei den Trauerfeiern in Nizza nicht gerade freundlich empfangen.APA/AFP/VALERY HACHE
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Die Regierung ist harter Kritik ausgesetzt. Der Attentäter dürfte den Anschlag lange im Vorhinein geplant haben, mischte sich öfters unter die Leute auf der Promenade des Anglais.

Bei einer Schweigeminute für die Opfer des Anschlags von Nizza ist die Trauer in wütende Proteste gegen die französische Regierung umgeschlagen. Ein Teil der Anwesenden buhte Premierminister Manuel Valls am Tatort auf dem Strandboulevard der Mittelmeerstadt aus.

Nach dem neuen Anschlag mit 84 Todesopfern wird in Frankreich heftig darüber diskutiert, ob die Behörden genug für den Schutz der Bevölkerung vor Terrorangriffen getan haben.

Die Opposition wirft der Regierung Versäumnisse nach den islamistischen Anschlägen des vergangenen Jahres vor. Es sei nicht alles getan worden, was seit dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" hätte getan werden müssen, sagte Expräsident Nicolas Sarkozy am Sonntagabend in einem Interview des Fernsehsenders TF1. Der Parteichef der konservativen Republikaner forderte unter anderem eine bessere Überwachung von Menschen, die als radikalisiert eingestuft wurden.

"Trauerperiode nicht respektiert"

Präsident Francois Hollande hielt dagegen und sprach bei einer Sitzung des Sicherheitskabinetts von einer "Verpflichtung zu Würde und Wahrheit". "Eine gewisse Zahl an Akteuren der politischen Klasse hat die Trauerperiode nicht respektiert", kritisierte Innenminister Bernard Cazeneuve, der auf mehrere neue Gesetze und Maßnahmen für den Anti-Terror-Kampf verwies.

Valls und Cazeneuve betonten, dass bisher keine Regierung so viel für den Kampf gegen den Terrorismus getan habe wie die aktuelle. Seit 2013 seien 16 Anschläge in Frankreich vereitelt worden.

Attentäter war mehrmals am Tatort

Auf Hochtouren versuchen französische Ermittler nach dem Attentat in der südfranzösischen Stadt Nizza mehr Informationen zu den Hintergründen der Tat zu sammeln. Mehr als 200 Beamte sind an der Aufklärung der Tat beteiligt, durch die in der Nacht auf Freitag mindestens 84 Menschen ums Leben kamen. Und die Opferzahl könnte noch steigen - nach wie vor schweben 18 Personen in Lebensgefahr.

Der 31-jährige Tunesier Mohamed Lahouaiej-Bouhlel, der am französischen Nationalfeiertag mit einem Kühllastwagen in die feiernde Menschenmenge gerast war, dürfte die Amokfahrt lange im Vorhinein geplant haben. Den Miet-Truck, den er als Mordinstrument verwendete, habe er bereits am 4. Juli reserviert und am 11. Juli abgeholt, meldete AFP unter Berufung auf Ermittlerkreise.

Zudem soll er den Tatort in den Tagen zuvor mehrmals ausgekundschaftet haben. Auch am Tag des Attentats selbst besichtigte er die Promenade des Anglais. Der gebürtige Tunesier mischte sich unter die Feiernden und machte Fotos - etwa ein Selfie vor dem Rad des Lkw oder mit Soldaten. Seinem Bruder Jabeur erzählte er, er sei nach Nizza gefahren, um mit seinen europäischen Freunden den 14. Juli zu feiern. Auf den Aufnahmen habe er glücklich und zufrieden gewirkt.

Attentäter hatte offenbar Komplizen

Zudem soll Lahouaiej-Bouhlel laut dem französischen "Journal de Dimanche" sein Konto in der Woche vor dem Attentat völlig leer geräumt haben. Das Geld, an die 100.000 Euro, habe er seiner Familie in Tunesien zukommen lassen. Wie er selbst zu so viel Geld kam, ist unklar. Der Mann arbeitete bei einem Lieferdienst. Die Sonntagszeitung berichtete unter Berufung auf Ermittler weiters, der Mann habe am Tag vor seiner Tat auch sein Auto verkauft.

Immer mehr deutet darauf hin, dass der Attentäter Komplizen hatte. Wenige Minuten vor der Tat soll er in mehreren SMS nach mehr Waffen verlangt haben. In dem Nachrichtenverkehr zeigte er sich auch mit seiner Pistole zufrieden. Lahouaiej-Bouhlel soll die SMS auch an einen Albanier geschickt haben, der am Sonntag gemeinsam mit seiner Ehefrau festgenommen wurde. Der Mann soll dem Tunesier eine Pistole Kaliber 7.65 besorgt haben, mit der er vor seinem Tod auf Polizisten schoss. Insgesamt befanden sich am Montag sechs Personen aus dem Umfeld des Täters in Polzeigewahrsam.

Über das Wochenende hatte sich zudem deutlich ein islamistischer Hintergrund der Tat abgezeichnet. Anfangs war Lahouaiej-Bouhlel als unreligiös beschrieben worden. Die Vernehmungen deuteten darauf hin, dass der Mann sich seit recht kurzer Zeit dem radikalen Islam zugewandt habe. Er habe auch aufgehört, Alkohol zu trinken, berichtete die Zeitung "Le Parisien". Bei Polizei und Geheimdienst war der Tunesier nicht als Islamist aktenkundig geworden. Die dem IS nahestehende Nachrichtenagentur Amak bezeichnete ihn am Samstag aber als "Soldat" des IS.

Einen gesicherter Hinweis, ob der Islamische Staat hinter dem Attentat stecke, hätten die Ermittler jedoch noch nicht, sagte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve am Montag dem Radiosender RTL. "Jetzt müssen wir wissen, welche Verbindungen es gibt zwischen demjenigen, der diesen abscheulichen Anschlag begangen hat, und den Terrornetzwerken. Und diese Verbindungen sind bisher von der Untersuchung nicht bewiesen." 

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(APA/AFP/maka)

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